Neue Namen im Spiel

US OPEN Hinter Serena Williams etablieren sich junge Spielerinnen, die an die großen Erfolge des Frauentennis in den USA anknüpfen könnten. Eine von ihnen sorgt für die erste Sensation im Turnier

Wenn der Ball im Spiel ist, dann weiß Victoria Duval sehr genau, was sie will

NEW YORK taz | Die kleine Victoria Duval hüpfte vor Freude, auf der Tribüne lag sich die Familie in den Armen, und der Rest der Zuschauer zeigte lautstark Begeisterung. Am nächsten Tag waren die Zeitungen und das Internet voller Geschichten über dieses erstaunliche 17 Jahre alte Mädchen und dessen Sieg in der ersten Runde der US Open gegen die Turniersiegerin des Jahres 2011, Sam Stosur aus Australien.

Wie kann es sein, dass so ein Küken die Nerven bewahrt, die routinierte, muskelbepackte Gegnerin dagegen zittert, zaudert und verliert? Vielleicht genügt Duvals Erklärung, sie habe ihrem Vater versprochen: „Wir werden es schaffen. Heute Abend werde ich alles zeigen, was ich draufhabe.“ Es gibt angesichts dessen, was sie schon hinter sich hat, nicht viel, wovor sie sich fürchtet. Mit sieben wurde sie in Port-au-Prince im Haus der Tante zusammen mit ihren Cousins ein paar Stunden lang von bewaffneten Einbrechern als Geisel genommen. Was ihre Mutter zum Anlass nahm, mit Victoria und deren beiden älteren Brüdern zurück nach Florida zu ziehen. Vater Jean-Maurice, Arzt wie seine Frau, wurde ein Besuch auf Haiti später beinahe zum Verhängnis; im Januar 2010 wurde er beim verheerenden Erdbeben in seinem Haus verschüttet, von einem fallenden Stahlträger schwer verletzt und nach elf Stunden unter Schutt und Geröll von einem Nachbarn gerettet.

Den Vater leidlich wiederhergestellt als Zuschauer auf der Tribüne zu sehen, ist eine ihrer größten Freuden. Die Freude ist ein Antrieb, aber sie hilft ihr nicht dabei, entschlossen den richtigen Ball zu spielen, und das wiederum ist auch eine Frage der Persönlichkeit. Sie sieht zwar wie 15 aus und klingt wie 13, aber man darf sich von der Piepsstimme nicht täuschen lassen. Wenn der Ball im Spiel ist, dann weiß Victoria Duval sehr genau, was sie will.

Begeistert nahmen die Amerikaner ihren Coup zur Kenntnis; er passt ins Bild. Vielleicht hilft ein kleiner Rückblick, um die hoffnungsvolle aktuelle Situation besser zu verstehen. Bei den US Open 2006 fehlte Venus Williams wegen einer langwierigen Verletzung am Handgelenk, deren Schwester Serena schied im Achtelfinale aus, und Lindsay Davenport, die im Halbfinale spielte, befand sich im Endstadium ihrer Karriere. Der Blick auf die Zukunft des amerikanischen Frauentennis war diffus bis düster.

Inzwischen erlebt Serena den dritten Frühling als Tennisspielerin, inspiriert und bestens betreut von ihrem französischen Coach und Freund Patrick Mouratoglou, und die Zukunft scheint in guten Händen zu liegen. Bei den Australian Open in Melbourne zu Beginn dieses Jahres verlor Williams gegen die damals 19 Jahre alte Sloane Stephens, die inzwischen zu den Top 20 gehört. Und dann ist da noch Madison Keys, wie Victoria Duval Jahrgang 95, die jetzt schon aufschlägt wie ein Mann, und noch ein Jahr jünger ist Taylor Townsend, die weltbeste Juniorin des vergangenen Jahres.

Sie alle trauen sich was zu – und sie verlassen sich nicht auf die Hilfe anderer. Als Townsends Bitte um eine Wildcard für das Hauptfeld oder die Qualifikation im vergangenen Jahr von den Verantwortlichen des US-Tennis-Verbands mit der Begründung abgelehnt wurde, sie müsse abnehmen, bevor sie weiter gefördert werde, fuhr sie mit ihrer Mutter auf eigene Kosten nach New York und gewann den Titel in der Doppel-Konkurrenz. Stephens, Duval, Keys und Townsend sind Afroamerikanerinnen, und es wäre wohl einfältig, den Einfluss der Williams-Schwestern auf diese Entwicklung nicht zu sehen. Victoria Duval hat konkrete Vorstellungen, wie die Geschichte weitergehen soll. „Natürlich werden wir versuchen, das amerikanische Tennis wieder dorthin zu bringen, wo es schon mal gewesen ist“, sagt sie mit ihrer Kinderstimme. „Ich glaube, dass wir auf einem erstaunlichen Weg sind.“ Dass auf diesem Weg sicher auch noch ein paar Kurven auftauchen werden, weiß sie. Aber der Anfang ist gemacht, die Namen sind im Spiel.DORIS HENKEL