Kein Spaß um drei Ecken

Das Bochumer Schauspielhaus ist jetzt eine Anstalt. Über ein Kuckucksnest fliegt dort niemand. Lieber wird jetzt mit der Komödie „Fasten Seat Belts“ den Boulevard-Theatern in NRW Konkurrenz gemacht

AUS BOCHUMPETER ORTMANN

In Bochum findet im Schauspielhaus gerade Bungee-Jumping ohne Gummiseil statt. Laufen der Bühne die Zuschauer weg? Will Elmar Goerden deshalb jetzt dem Boulevard Konkurrenz machen? Warum auch immer. Die total harmlose Schmunzel-Komödie „Fasten Seat Belt“ des estischen Dramatikers Jaan Tätte ist in den Spielplan der Kammerspiele gerutscht.

Kurz nachdem die Stadt seine bekannte Theater-Bühne in eine Anstalt (öffentlichen Rechts) verwandelt hat, entledigt die sich mit dieser Inszenierung von Christian Tschirner endgültig ihres kulturellen Auftrags. Mit Kunst hat das, was auf der Bühne passiert, nichts mehr am Hut. Das Theater giert im Stakkato nach Schenkel klopfendem Gelächter im Publikum, Anschnallen braucht man sich für diese Harmlosigkeit nicht. Und so dürfen vier wunderbare Schauspieler (Maja Beckmann, Jele Brückner, Janko Kahle und Bernd Rademacher) ausgelassen durch die schwachsinnige Handlung düsen: Anett kommt von einer Dienstreise mit dem behaarten Lover Manfred (er lebt als Versuchsmensch für die Pharmaindustrie) zurück. Fred wird seit Jahren von der in ihn verliebten Nachbarin Anna verfolgt. Nun soll der unschuldige Ehemann einem lustigen Dreieck in der eigenen Wohnung zustimmen. Seine frisch verliebte Gattin findet das nun einmal anregend.

Eigentlich kann sich jetzt jeder die Gags ausdenken, die sich dann abspulen. Sie wären auch ein Fest für Elisabeth Volkmann, Peer Augustinski, Pierre Brice, Susanne Uhlen und wie die Sterne alle heißen, die auf den Gelächter-Brettern der Republik ihr ausgewiesenes Talent verhökern. Auf dem Niveau ist das Bochumer Schauspielhaus nun angelangt. Am Ende des Abends gibt auf der Bühne noch einen mit Möchte-Gern-Sponti-Zeichentrick verhüllten Gangbang und die erschöpfte „Versöhnung“. Eine unglaubliche Verschwendung der Ressourcen dieses einst so wichtigen und positionierten Theaters in Deutschland.

Draußen wanken derweil die Obdachlosen umher, hoffen auf den einen oder anderen Euro. Schließlich leben wir in einer Zeit, wo höhnisch lächelnd Sozialleistung abgebaut werden, sich Konzerne friedlich-feindlich übernehmen, um noch mehr Menschen für schicke Aktienkurse in die Arbeitslosigkeit zu schicken oder Künstler, wie Santiago Sierra in der Pulheimer Synagoge, von einer selbst ernannten Moral-Polizei zum Abbau ihre Werke gezwungen werden.

Gut zwei Jahrzehnte zurück, gleiches Theater, anderer Intendant. Die Staats- und Politikverdrossenheit erlebt im Jahr der Jugend einen Höhepunkt. „Jetzt haben wir die Pflicht Halt zu rufen und Widerstand zu leisten. Wir haben das Publikum; wir haben unsere Leser: wir haben also Macht. Wir sollten sie benutzen“, schrieb im September 1985 der damalige Bochumer Intendant Claus Peymann an Franz-Xaver Kroetz, Herbert Achternbusch und 20 weitere Dramatiker und bat sie um theatralische Gegenmaßnahmen. Und wie heißt es nett in der Werbung für den Komödienstadel im Bochumer Schauspielhaus: In dieser wendungsreichen Komödie räumt der estische Dramatiker mit erfrischender Leichtigkeit mit den offenen Fragen des „modernen Lebens“ auf. Soll heißen, eigentlich geht es ums ficken und sonst nichts. Wenn die Zeiten nicht so ernst wären, wäre es eigentlich zum lachen, doch echte Theater-Freaks lachen in Bochum schon lange nicht mehr.

Do, 30. März, 19:30 UhrInfos: 0234-33335555