Aufgeräumte Elfen

FOLKTRONICA Bianca und Sierra Casady beehren Bremen mit ihrem neuen Album. „Tales Of A GrassWidow“, mit dem sie selbst notorisch skeptische Kritiker besänftigen konnten

Der farbenfroh verschleierte Feminismus ist nur eine Facette unter vielen im schillernden Gesamtkunstwerk CocoRosie

VON ANDREAS SCHNELL

Nun ist es schon wieder fast zehn Jahre her, dass die beiden amerikanischen Hippie-Schwestern in Paris auf Wandergitarre, Spielzeuginstrumenten und ein bisschen Elektronik ein Album aufnahmen, das einen der wichtigen Ecksteine des sogenannten „New weird America“ bildete, ein imaginäres Land, in dem bärtige Zauseln, ätherische Experimentatoren und queere Crooner eine Heimat fanden.

CocoRosie verbanden Folk, Elektronik und erratische Lyrik zu einem naiv anmutenden Sound, der zunehmend irritierende Brüche aufwies, wenn beispielsweise Antony Hegarty, sonst mit seinen Johnsons unterwegs, auf dem zweiten CocoRosie-Album „Noah’s Ark“ in „Beautiful Boyz“ Jean Genet huldigte. Oder wenn sie in „Japan“ von ihrem dritten Album „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn“ behaupteten, jede und jede wolle in den Irak, von wo aus sie allerdings nicht zurückkommen könnten. „We might have our freedom, but we’re still on crack“ – „Wir mögen unsere Freiheit haben, aber wir sind immer noch auf Crack“.

Mit „Tales Of A GrassWidow“ erschien im Mai dieses Jahres nun das fünfte Album der Schwestern, wieder unter Mitwirkung von Antony Hegarty und mit feministischer Mission. Allerdings: Die gibt sich, wie Sierra und Bianca selbst, gern farbenfroh verschleiert. Und darf deswegen auch eher als eine Facette betrachtet werden, die nicht ganz unwichtig sein mag, aber eben auch nur eine unter vielen des schillernden Gesamtkunstwerks CocoRosie ist, zu dem neben dem Kontrast aus Sierras elfenhaftem Operngesang und Biancas zwischen Björk, Joanna Newsom und Sandy Dillon changierendem Quengeln aufgemalte Schnauzbärte, seltene Flöten, wohldosierte Tabubrüche (das N-Wort!) und Multimedia-Ambitionen gehören.

Das alles ist derweil wohlbekannt und deswegen die Frage interessanter, wie CocoRosie sich musikalich positionieren, um ihrem Ruf als Innovatorinnen gerecht zu bleiben. Auf „Tales Of A GrassWidow“ haben sie sich mithilfe des Produzenten Valgeir Sigurdsson, der schon mit Sigur Ros zusammenarbeitete, auf so etwas wie Reduktion geeinigt, auf die Verschmelzung des nicht selten Disparaten der letzten Alben in eine Musik, die die Eigenheiten nicht einebnet, aber sie in eine einigermaßen geschlossene Form bringt. Was selbst die notorischen CocoRosie-Skeptiker des einflussreichen Musikportals pitchfork.com besänftigte, die das letzte Werk erbarmungslos abkanzelten und auch sonst nicht gerade zimperlich mit den Veröffentlichungen der beiden Schwestern umgingen. Für ihre Konzerte versprechen CocoRosie ein „tanzbares Multimedia-Spektakel mit allem Drum und Dran“, was die Fans freuen, die ewigen Nörgler eher in ihrer Ablehnung bestärken wird.

In diesem Sinne wird wohl niemand enttäuscht nach Hause gehen müssen. Was durchaus nicht wenig ist für eine Band, die sich, wie auch immer man zu ihnen stehen mag, immer wieder weiterentwickelt hat.

■ Montag, 20 Uhr, Schlachthof