DAS DING, DAS KOMMT
: Eingerichtet in der Einöde

VOGELNESTER und wenig sonst umgeben in Uwe Timms neuem Roman „Vogelweide“ den Protagonisten Eschenbach: Vor den Folgen seines Begehrens versteckt der sich auf der Naturschutzinsel Scharhörn

Morgens Treibgut sammeln, nackt baden in den Wellen, Vögel gucken und, beim Laufen durch den Schlick, darüber nachsinnen, ob so nicht die Welt ausgesehen haben wird, kurz nachdem Wasser und Land, Himmel und Erde sich voneinander trennten. Er hat sich eingerichtet in der Leere. Oder vielmehr: Er hat sich seine Leere eingerichtet.

Eschenbach – um den es geht im neuen Roman von Uwe Timm, „Vogelweide“ (Kiepenheuer & Witsch 2013, 336 S., 19,99 Euro) – lebt auf Scharhörn, und wenn er doch mal Besuch bekommen will da im Naturschutzgebiet in der Elbmündung, dann muss Eschenbach dafür erst eine Genehmigung beantragen bei der Behörde im fernen Hamburg. Geflohen ist er aus noch einer anderen Großstadt, aus Berlin, wo er eine, wie es heute wohl heißt: prekäre Existenz im publizistischen Bereich hatte. Und eine Beziehung, genauer: zwei. Oder doch nur eine, dann aber besonders komplizierte.

Nach und nach erzählt Timm, was da genau geschehen ist zwischen Eschenbach und seiner Frau Selma und jenem anderen Paar, Anna und Ewald; „wie zwei Paare aus ihrem geordneten Leben herausgerissen werden, weil ihnen das Begehren dazwischenkommt“, so umschrieb es in der taz am vergangenen Wochenende Christoph Schröder. Vom Scheitern also handelt dieses Buch, von Menschen, die vielleicht Bürger zu nennen wären, wäre das nicht so ein schaler Begriff. Und davon, wie deren Vorstellungen, die vielleicht Träume heißen könnten, in Scherben gehen.

Klingt klassisch? Dieser Uwe Timm, geboren 1940 in Hamburg, ist ja auch kein Debütant mehr: Knapp zwei Dutzend Romane, aber auch Kinder- und Jugendbücher hat er geschrieben, uneinholbar am bekanntesten unter seinen Veröffentlichungen ist wohl „Die Entdeckung der Currywurst“ (1993). Dazu verantwortet er allerlei Hörspiele sowie Film-, auch Fernsehproduktionen.

Mit „Vogelweide“ nun hat er sich durchaus zwiespältige Reaktionen eingehandelt: Der Roman steht zwar auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis, aber er ist ebenso als Beispiel dafür bezeichnet worden, „dass Schreibroutine auch in die Sackgasse führen kann“, so vollmundig urteilte etwa Volker Hage im Spiegel – ja, sogar für das, „was an der deutschen Gegenwartsliteratur mitunter so quälend ist“.

Ob’s freilich im Jahr 2013 noch ein wirklich stichhaltiger Einwand sein kann, da lasse ein Autor seine Figuren allzu konstruiert wirken und die Dialoge allzu belesen?  ALDI

■ Uwe Timm liest aus „Vogelweide“: Di, 3. 9., Hannover; Mi., 4. 9., Braunschweig; 19. 9., Hamburg; 18. 10., Oldenburg; 20. 10., Göttingen