Ermittlungen gegen Kwaśniewski

Polens Justizminister ordnet neue staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Exstaatspräsident Kwaśniewski an. Weil sie früher bereits ergebnislos geblieben waren, wird ein Nachtreten der Konservativen gegenüber dem Exkommunisten vermutet

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Gegen Aleksander Kwaśniewski, bis vor kurzem Polens Präsident, ermittelt jetzt die polnische Staatsanwaltschaft. Kwaśniewski soll für das Verschwinden von über 100 Millionen Zloty (rund 25 Millionen Euro) verantwortlich sein. 1987 bis 1990, als er Polens Jugend- und Sport-Komitee leitete, soll es Parteifreunden Kwaśniewskis und kommunistischen Organisationen Kredite ausgezahlt haben, die nie zurückgezahlt wurden. Dadurch habe der polnische Staat einen großen Verlust erlitten.

Der Vorwurf, den die nationalkonservative Gazeta Polska erhebt, ist alt. Schon zweimal beschäftigte sich die Staatsanwaltschaft mit der Finanzaffäre im Jugend- und Sportkomitee. 1992 wurde das Verfahren eingestellt. Im Jahr 2000, ebenfalls nach einem Bericht der Gazeta Polska, holte die Staatsanwaltschaft die Akten aus dem Archiv, weigerte sich aber am Ende, erneut Ermittlungen gegen Kwaśniewski aufzunehmen. Es sei zu keiner Straftat gekommen.

Justizminister Zbigniew Ziobro von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entsprach nun aber der Bitte des Gazeta-Polska-Chefredakteurs und ordnete eine erneute Aufnahme des Verfahrens an. Obwohl die Affäre schon 16 Jahre zurückliegt, unterliege sie nicht der Verjährung, erklärte Ziobro. Kwaśniewski sei als Präsident zehn Jahre lang durch seine Immunität geschützt gewesen. Nun soll sich aber nicht mehr die Warschauer Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigen, sondern die im südlichen Lublin.

Kwaśniewski soll aber nicht nur in diesem Fall vor Gericht gestellt werden. Die neue Regierung unter Kazimierz Marcinkiewicz will vielmehr in einer großen „Säuberungsaktion“ alle Affären seit der politischen Wende 1989 neu aufrollen. Die Tageszeitung Zycie Warszawy kam nach Prüfung aller Vorwürfe gegen Kwaśniewski auf insgesamt fünf mögliche Prozesse allein gegen Polens Expräsidenten. Aufzuklären sei nicht nur ein seltsames Devisengeschäft der umbenannten Ex-KP, deren Vorsitzender Kwaśniewski eine Weile war, sondern auch merkwürdige Finanztransaktionen des Olympia-Komitees unter Kwaśniewski. Auch der Wahlkampf 1995, in dem Kwaśniewski behauptet hatte, über eine „höhere Bildung“ zu verfügen, obwohl er das Studium nie abgeschlossen hatte, könnte zum Prozess führen, vermutet Zycie Warszawy.

Merkwürdig sei auch das spurlose Verschwinden des Präsidenten-Besucherbuches von 1997. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hatte sich für dieses Gästebuch interessiert, da unter den Besuchern möglicherweise ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher war.

Ryszard Kalisz, der im Jahre 2000 Kanzleichef Kwaśniewskis war, gibt zu, dass die Transaktionen des Jugend- und Sportkomitees „nicht besonders glücklich“ waren. „Aber eine Straftat konnte nie festgestellt werden.“ 1992 sei Kwaśniewski als Zeuge verhört worden, nicht als Angeklagter. Vor sechs Jahren, als die Staatsanwaltschaft auf das Thema zurückkam und Kwaśniewski schon Präsident war, habe Kalisz eine Erklärung vor der Staatsanwaltschaft abgegeben. „Kwaśniewski war nie ein Verdächtiger“, so Kalisz zur Gazeta Wyborcza. „Dass das Thema nun wieder hochkommt, hat wohl mit dem Willen der derzeitigen Regierung zu tun, dem Präsidenten um jeden Preis hinterherzutreten.“