Menschen sind auch nur Pferde

RADSPORT Kaum hat die neue Saison begonnen, scheint bei den Rennfahrern alles beim Alten. Der Erneuerungswille ist verschwunden, das Geschäft brummt wie ehedem

Die jüngsten Ermittlungen legen nahe: Im Radsport greifen die alten Dopingmechanismen weiterhin

VON TOM MUSTROPH

Die Radsportsaison ist noch jung, aktuell tourt der Profizirkus gerade durchs Baskenland. Doch schon wieder ist der Gestank aufgezogen, der bereits die vergangenen Jahre prägte. Statt bunt bemalter Eier wurden in Italien zur Osterzeit mal wieder Dopingpräparate gefunden.

Im Mittelpunkt der jüngsten Affäre steht mit Guido Nigrelli ein Pferdetrainer, der neben Vierbeinern auch zweibeinige Professionals auf Rennrädern schnell macht. Der Diplom-Apotheker ist ein enger Freund von Lampre-Teamchef Saronni und Berater von Exweltmeister Alessandro Ballan (ehemals Lampre, jetzt BMC Racing). Das schreibt jedenfalls die Gazzetta dello Sport. Und die Staatsanwaltschaft in Mantua bestätigte am Mittwoch, dass sie gegen insgesamt 35 Radprofis, Trainer und Funktionäre ermittelt, darunter der Weltmeister von 2008, Alessandro Ballan, und Damiano Cunego, Vizeweltmeister 2008.

Lampre-Profi Danilo Hondo vermutete zwar bereits „Sensationsjournalismus“, und Saronni behauptete, in Nigrellis Apotheke stets nur völlig legale Medikamente erworben zu haben. Die in rechtsstaatlichen Systemen übliche Unschuldsvermutung lässt sich in diesem Falle aber nur unter Aufbietung aller verfügbaren liberalen Energien bewerkstelligen. Gehörte Nigrelli doch bereits 2001 zu den Verdächtigen im Rahmen der Sanremo-Razzia. Interessant ist vor allem, dass die Gazzetta dello Sport eine Verbindung Nigrellis mit dem Wiener Labor Humanplasma vermutet. Dort hatte unter anderem der Österreicher Bernhard Kohl Extraladungen Blut für die Tour de France angelegt.

Im Zuge der aktuellen Ermittlung wurden beim Lampre-Fahrer Lorenzo Bernucci das Blutverdünnungsmittel Albumin und der Appetitzügler Sibutramin beschlagnahmt. Der Ex-T-Mobile-Profi war wegen Sibutramin bereits 2007 gesperrt. Er wurde vom Team suspendiert, weil ihm selbst dort niemand die Ausrede, dass die Medikamente Familienangehörigen gehörten, glaubte.

Lampre steht seit Längerem im Visier der italienischen Dopingfahnder. Bereits während der Saisonvorbereitung 2008 hatten sie einen überraschenden Besuch bei dem Rennstall gemacht und dabei einige Fahrer nicht dort angetroffen, wo sie laut Meldeprotokoll der UCI sein sollten. Der Fall sorgte für einigen Wirbel, blieb aber ohne disziplinarische Konsequenzen. Den jetzigen Coup haben die Fahnder offenbar besser vorbereitet.

Die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaften Mantua und Padua sind jedenfalls Beleg dafür, dass die alten Dopingmechanismen im Radsport weiterhin greifen. Der Blutpass hat die Manipulationen nur leicht einschränken können.

Selbst auf der symbolischen Ebene zieht wieder die alte Laxheit ein. Hatte sich Lampre im letzten Jahr noch über die prompte Verpflichtung des Dopingsünders Ivan Basso beim Rivalen Liquigas mokiert, so stellte der Rennstall in diesem Frühjahr dem noch gesperrten Danilo di Luca ein Engagement in Aussicht. Zwar waren nicht alle Angestellten im Hause Lampre von der Personalie begeistert. „Di Luca ist ein enger Freund unseres neuen Sponsors Farnese Vini. Von dort ging die Initiative aus“, ging der sportliche Leiter Fabrizio Bontempi auf Distanz. Solange der Profiradsport aber nach Gutsherrenart geführt wird, Weinhändler mit Taschen voller Geld den Kader bestimmen und Teamchefs Freundschaften mit anrüchigen Pillendrehern pflegen, laufen all die schönen Saubermachkampagnen ins Leere.

Außerhalb Deutschlands scheint dies allerdings niemanden sonderlich zu stören. Während Rennstallchef Gerry van Gerwen derzeit fast schon verzweifelt nach einem Nachfolger für den Hauptsponsor Milram sucht, der wohl am Ende der Saison aussteigt, erlebt der Profiradsport in den meisten anderen Weltgegenden trotz Wirtschaftskrise einen veritablen Boom. Das global vagabundierende Kapital ist unter anderem in die neuen Rennställe BMC, Sky und Radioshack geflossen und hofft dort auf tolle Werbeeffekte.

Wegen dieser neuen Protagonisten ist das Gerangel um Startplätze bei den wichtigsten Rennen so heftig wie lange nicht. Für einen Eklat sorgte in Frankreich die Nichtberücksichtigung des ambitionierten Nachwuchsrennstalls Saur Sojasun bei der Tour de France 2010. „BMC, Sky und Radioshack haben sich den Startplatz erkauft“, schimpfte Saur-Sojasun-Manager Stephane Heulot. Ganz unrecht hat der Franzose nicht. Sportlich steht sein Team mit bislang vier Siegen besser da als die hochgerüsteten Konkurrenten BMC (noch kein Sieg für Weltmeister Evans und Gefährten) oder Radioshack (ein Tageserfolg bei der Algarve-Rundfahrt für das Team um Lance Armstrong). Es zeichnet sich auch in dieser Saison ab: Fairer Wettbewerb ist in diesem Profigeschäft keinesfalls die Norm.