UMZUG NACH NEUKÖLLN
: Zu laut

Ich wollte etwas Aufmunterndes sagen, aber alles schien banal

Ein Freund von mir feierte an diesem bezaubernden Sommerabend die Buchpremiere seines neuesten Werkes im Heimathafen Neukölln. Es war noch vor der Lesung, ich bestellte mir an einer Imbissbude auf der Karl-Marx-Straße eine Portion Pommes, als mich eine fremde Person mit den Worten „Kannst du dich noch an mich erinnern“ ansprach. Das Gesicht sagte mir nichts, ich zuckte mit den Schultern, woraufhin die fremde Person sagte: „Ich bin der Max. Ich habe früher in einer Buchhandlung in der Nähe vom Kollwitzplatz gearbeitet. Wir haben uns oft über Literatur unterhalten.“

„Na klar““ antwortete ich. „Jetzt erinnere ich mich wieder.“ Max war ein großer Fan lateinamerikanischer Romane gewesen, die er mir stets wärmstens empfohlen hatte. Die Buchhandlung hatte jedoch vor einigen Jahren geschlossen, sie konnten sich die Miete in Prenzlauer Berg nicht mehr leisten. Ich hatte Max aus den Augen verloren. „Wie geht es dir“, fragte ich. „Wohnst du jetzt in Neukölln?“

„Ja, ich wohne gleich hier um die Ecke“, antwortete Max. „Aber es geht mir nicht so gut, ich finde einfach keine Arbeit.“ „Na aber immerhin bist du dem kleinbürgerlichen Prenzlauer Berg entkommen“, sagte ich. „Ich wohne nicht gerne hier“, sagte Max. „Ich musste wegen der hohen Miete raus aus Prenzlauer Berg. In Neukölln ist mir alles zu laut, zu aufgeregt. Es tut mir nicht gut, hier zu leben.“

Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte, es entstand eine unangenehme Stille. Max’ Stimme klang brüchig, aus seiner Haltung war jegliche Spannung entwichen. Ich wollte etwas Aufmunterndes sagen, aber alles, was mir einfiel, kam mir banal und unangebracht vor. Dann sagte Max: „Na gut, ich geh dann mal nach Hause. Mach es gut.“ „Du auch“, erwiderte ich und fühlte eine schmerzhafte Leere in mir. Die Pommes schmeckten auch nicht mehr, ich schmiss sie weg. ALEM GRABOVAC