Einer statt zwei Energieminister

MACHT Die Grünen planen ein eigenes Energieministerium. Umweltorganisationen sind skeptisch: Sie fürchten, der Umbau der Stromversorgung werde noch stärker blockiert

Wer sich zuletzt daran gewöhnt hatte, in den Grünen die Partei der Umverteiler und der Steuererhöher zu erkennen, könnte sich bei Lektüre des „100-Tage-Programms“ wundern, dass die Partei am Montag vorstellte.

■ Zwar kommt darin die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent samt Vermögensabgabe vor – aber doch recht weit hinten unter Punkt 8. Denn die Top Drei der auf sechs DIN-A4-Seiten verteilten Zehn-Punkte-Liste lauten: „Energiewende retten“, „Massentierhaltung beenden“ und „Gute Bildung und Betreuung für jedes Kind“. Damit rücken zwei Kompetenzen wieder ganz nach vorn, von denen viele meinen, dass die Grünen unter Leitwolf Jürgen Trittin sie zuletzt arg vernachlässigt hätten: Umwelt und Kinder.

■ Hinterdrein kommen Mindestlohn von 8,50 Euro, Kampf gegen Rechtsextremismus, Frauenquote, doppelte Staatsbürgerschaft und bessere Behandlung von Asylsuchenden, dann erst Steuererhöhung zwecks Verbesserung von Infrastruktur und Schuldenabbau, Finanztransaktionssteuer sowie Rüstungsexporte (nicht in Krisengebiete).

■ Insgesamt sind die Grünen damit, wie beabsichtigt, ausgesprochen SPD-tauglich und nur sehr begrenzt geeignet für eine Koalition mit der Union. (uwi)

VON HANNA GERSMANN

BERLIN taz | Ein „Minister Energiewende“. Ein Politiker, der das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands, den Umbau des Energiesystems, voranbringt. Das hört sich nach Anpacken an, nach Effizienz, nach weniger Streit – nach einer guten Idee. Sie steht im Programm der Grünen für die ersten hundert Tage nach einem Regierungswechsel: Man werde „die zentralen Kompetenzen für die Energiewende in einem Ministerium in grüner Hand bündeln“. Umweltlobbyisten freuen sich darüber – nicht.

So ein neues Ressort hätte viel Macht, Geld und Personal. Beamte, die bisher in den Ressorts Umwelt, Wirtschaft, Bau oder Forschung ihre Schreibtische haben, müssten in einem Haus zusammenarbeiten. Da finge das Problem an, meint Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe, der die Energiepolitik seit Langem beobachtet. Die Kollegen würden sich „erst mal zwei Jahre blockieren, sie würden nichts hinkriegen“. Auch Andree Böhling von Greenpeace erklärt: „Der Konflikt, wie die Energieversorgung umgebaut wird, wird nicht gelöst.“

Die Konkurrenz der zuständigen Abteilungen vor allem in Umwelt- und Wirtschaftsministerium hat eine lange Tradition. Von jeher ist das Wirtschaftsministerium für Kohle, Gas und Öl, für die konventionellen Energien zuständig. Es legt zudem die Regeln für den Strommarkt fest und hat die Federführung beim Ausbau der Stromnetze und der Energieeffizienz. Die Kollegen im Umweltministerium kümmern sich – neben der Aufsicht über die Atomkraftwerke – seit einigen Jahren indes um die erneuerbaren Energien.

Die beiden Häuser blockieren sich. Das war mit SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und seinem grünen Umweltkollegen Jürgen Trittin so, mit Michael Glos (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) auch. Und im April dieses Jahres warb CDU-Umweltminister Peter Altmaier zum Beispiel für ein „Ja“, FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler für ein „Nein“, als das Europäische Parlament über die Reparatur des Emissionshandels abstimmte, um Klimasünden zu verteuern. Röslers Leute bremsen bei der Energieeffizienz oder dem Ausbau der Erneuerbaren Energien genauso. Bei der Energiepolitik reden viele mit, die sich nicht grün sind.

In Schleswig-Holstein haben die Grünen mit Robert Habeck bereits einen Energiewendeminister ins Amt gehoben. Auf Bundesebene ist ihre Forderung aber neu. Spitzenkandidat Jürgen Trittin hatte mehrfach erklärt, vor der Wahl nicht über Posten reden zu wollen. Die SPD preschte dann vor, verankerte die Gründung eines Energieministeriums im Wahlprogramm. Matthias Machnig, Energieexperte im SPD-Kompetenzteam, sagt: „Die lose verkoppelte Anarchie in der Energiepolitik von Schwarz-Gelb muss nicht nur inhaltlich-fachlich, sondern auch strukturell ein Ende haben.“

Auch Unions-Ministerpräsidenten und Leute aus der Wirtschaft fordern eine Bündelung der Zuständigkeiten. Die FDP schrieb in ihr Wahlprogramm, sie wolle „alle Verantwortung und Bundesaufgaben im Zusammenhang mit der Energieerzeugung und Energieversorgung“ im Bundeswirtschaftsministerium bündeln.

Genau darin sehen die Umweltlobbyisten denn auch die große Gefahr: Gibt es nur ein Energieministerium, könnten dies Liberale oder Christdemokraten übernehmen, die es mit den Ökoenergien nicht allzu ernst meinen. Oder eben Sozialdemokraten, die sich nicht von der Kohle trennen wollen.

Greenpeacer Andree Böhling sagt: „Der Koalitionsvertrag ist entscheidend. Da muss die Linie für die Energiepolitik festgelegt werden.“ Dann könne ein Staatsminister im Kanzleramt auch die Koordination übernehmen. Ohnehin sei ein mächtiges Energieministerium unwahrscheinlich, hieß es gestern – denn keine Partei werde ein solches allein dem Koalitionspartner überlassen.