„Die Nase voll vom Thema Migration“

DIYALOG THEATERFEST Lange bevor die Migration vom Theater als Thema entdeckt wurde, lud das Diyalog Theaterfest Gastspiele aus der Türkei ein. Kurator Mürtüz Yolcu über Fördergeld für pädagogisch wertvolles Migrationstheater

■ 49, ist Theater- und Filmschauspieler. Seit 14 Jahren organisiert er das Diyalog Theaterfest. Zuletzt spielte er in Sinan Akkus’ Film „Evet, ich will!“. Derzeit ist Yolcu in „Nachtasyl“ im Berliner Ensemble zu sehen.

INTERVIEW VON ALKE WIERTH

taz: Herr Yolcu, auf Berlins Bühnen wimmelt es derzeit von Stücken über türkische Migranten – warum brauchen wir denn da noch ein deutsch-türkisches Theaterfest?

Mürtüz Yolcu: Zum einen: Diyalog ist ja nicht nur ein deutsch-türkisches Theaterfest. Unser Thema sind Minderheiten. Das können Homosexuelle sein ebenso wie alleinerziehende Väter oder eben Migranten. Das Diyalog Theaterfest ist zum anderen das älteste Festival, das von türkischstämmigen Künstlern erfunden wurde und ihnen Gelegenheit bietet, ihre Arbeiten zu zeigen. Alles andere kam später.

Welche Stücke nehmen Sie auf?

Wir zeigen Gruppen, die gute Arbeit leisten und sonst kaum Möglichkeiten haben, ihre Stücke zu präsentieren. Das ist nicht nur Theater: Es gibt auch einen Musikabend, eine Lesung und Kabarett, auch Angebote für Kinder und Jugendliche. Und wir laden Stücke aus anderen Ländern ein – in diesem Jahr unter anderem das Stück „Muhabir“, auf Deutsch: „Reporter“, aus Istanbul, das eine Art Erzählung der Geschichte der Türkei ist.

Und in türkischer Sprache läuft?

Ja, aber mit deutscher Übertitelung, der deutsche Text läuft als Projektion über der Bühne. Wir sprechen mit unserer Zusammensetzung sowohl das deutsche wie auch das Einwandererpublikum an. Um das Thema Migration kommen wir natürlich nicht herum und werden wir wohl auch in den nächsten Jahren nicht drum herumkommen, obwohl viele Migranten mittlerweile wirklich die Nase voll davon haben, immer wieder darüber zu reden.

Wie kommt es, dass es derzeit dennoch so viele Stücke zum Thema Migration gibt?

Diese Entwicklung hat nach meinem Eindruck mit dem sogenannten Ehrenmord an Hatun Sürücü eingesetzt: Seither gibt es ein starkes Interesse der Öffentlichkeit an entsprechenden Themen. In den meisten dieser Stücke geht es ja in irgendeiner Form um das Thema Gewalt. Man kann in den letzten Jahren auch beobachten, dass Fördergelder für Kulturprojekte verstärkt auf solche Schwerpunkte hin ausgeschrieben werden. Es gibt Gelder dafür: Das führt auch dazu, dass das Thema in den Vordergrund kommt.

Wie finden Sie das?

Mich stört, dass viele dieser Stücke auf die als negativ betrachteten Eigenschaften der Einwanderer fokussiert sind. Was da läuft, ist im Grunde eine andere Form von Sozialpädagogik: Türkische Einwanderer werden als soziale Problemfälle präsentiert, die Theaterarbeit soll dann wohl so eine Art erzieherische Funktion erfüllen, der Integration dienen.

Die türkischstämmigen Künstler werden oft auf eine Pädagogenrolle reduziert

Das Publikum dieser Stücke ist doch aber eher ein deutsches als die Migranten selbst?

Die Produktionen richten sich natürlich eigentlich an alle Zuschauer. Doch wie man die Themen inszeniert – der böse türkische Papa, der Probleme mit seiner Tochter hat –, das ist häufig so gemacht, dass es ein Einwandererpublikum gar nicht anspricht. Es werden im Grunde Vorurteile verstärkt.

Wie unterscheiden sich Stücke, die Sie in das Programm des Diyalog-Festivals aufnehmen, von solchen Inszenierungen?

Mich interessieren vor allem die Geschichten. Wir bringen Stücke auf die Bühne, die ein hohes künstlerisches Niveau haben. Weil die türkischstämmigen Künstler hier oft auf so eine Art Theaterpädagogenrolle reduziert werden, ist es uns wichtig, etwa Stücke aus der Türkei herzubringen, die zeigen, welch hohe Qualität Theater dort hat. Wir wollen den Horizont des hiesigen Publikums über das hinaus erweitern, was auf den Berliner Bühnen angeboten wird.

■ Heute beginnt das Diyalog Theaterfest im Ballhaus Naunynstraße. www.theater-diyalog.com