betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

ESTHER SLEVOGT

Der Defa-Film „Berlin – Ecke Schönhauser“ von 1957 war das, was man einen Kultfilm nennt. Und das, obwohl er präsentierte, was es in der DDR eigentlich nicht geben durfte: Halbstarke in Lederjacken, statt brave FDJ-Aktivisten im Blauhemd. Das Drehbuch hatte kein Geringerer als Wolfgang Kohlhase geschrieben, und der berühmteste Schauspieler seiner Generation, BE-Star Ekkehard Schall, trat als umwerfende DDR-Antwort auf James Dean in Erscheinung: schräg lächelnd, mit schnarrender Erotik in der Stimme. Brechts Tochter Barbara trat als Krankenschwester der Bahnhofsmission auf. Beide waren dann später im Privatleben ein berühmtes Paar. Hauptschauplatz des Films ist das S-Bahn-Viadukt an der Schönhauser Allee, um die Ecke vom heutigen Ballhaus Ost. Dort hat jetzt der Regisseur Christian Weise den Stoff wieder aufgegriffen, um ihn mit dem Lebensgefühl heutiger Prenzlauer-Berg-Bewohner abzugleichen. Dafür hat er den Filmklassiker als Puppentheater adaptiert. Die Bühne baut ihm Jo Schramm, der am Deutschen Theater gerade für Tom Kühnel und Jürgen Kuttner das Bühnenbild für die Zarensoap „Agonie“ erfunden hat. (Ballhaus Ost: „Berlin – Ecke Schönhauser“, 7. 9. (Premiere), 8.–10. 9., jeweils 20 Uhr)

Am Rosa-Luxemburg-Platz eröffnet am Freitag nun auch die Volksbühne die neue Theatersaison. René Pollesch hat sich dafür einen Balzac-Stoff vorgenommen: „Glanz und Elend der Kurtisanen“. Auch hier haben wir es mit verlorenen Seelen in einer gefräßigen Metropole und ihren moralischen Abgründen zu tun. Wobei man erfahrungsgemäß in Polleschs Verarbeitung des Stoffs die verbliebenen Spuren von Honoré de Balzac mit der Lupe wird suchen müssen. Unübersehbar allerdings werden dafür die beiden Theaterstars Martin Wuttke und Birgit Minichmayr sein, um die herum Pollesch sein Stück komponiert hat. (Volksbühne: „Glanz und Elend der Kurtisanen“, ab 6. 9., 19.30 Uhr)

Und dann wären da noch die Sophiensaele. Dort steht ab Freitag „Shilpa“ auf dem Pogramm. Als erste Theaterapp wird sie angekündigt: live und interaktiv. Das soll ja Theater ohnehin so an sich haben, live und interaktiv zu sein. Aber „Shilpa“ ist mehr: nämlich die neueste Version einer Singer-App für Smartphones und der zweite Teil einer Reihe über das schizophrene Leben indischer Performerinnen in der Entertainmentindustrie. Präsentiert wird sie vom Flinntheater und der Schauspielerin und Sängerin des Hindustani Classical und Sugama Sangeet, MD Pallavi. Wie das genau funktioniert, muss man wohl am eigenen Zuschauerleib erfahren. (Sophiensaele: „Shilpa“, 6. 9. (Premiere), 7. + 8. 9., 20 Uhr)