Der Traum der Putzfrau

TRASH-EXPERIMENT Der Berlin-Film-Katalog zeigt in der Brotfabrik „Plastikfieber“ von Helmut Wietz: eine Rarität aus jenen alten modernen Zeiten, als Video noch eine neue Technik war

Vieles in „Plastikfieber“ beruht darauf, dass nicht alles so ist, wie es scheint

VON BARBARA SCHWEIZERHOF

So schlecht, dass es schon wieder gut ist – diese Art von ästhetischem Erlebnis ist im Kino nicht gerade selten. Was man im Moment der Wahrnehmung für die „Schuld“ eines bestimmten Films hält, erweist sich mit der Zeit als flüchtiges Phänomen, dass sich mal einstellt und mal wegbleibt. Zumal darin die Subjektivität des Zuschauers gleich doppelt zuschlagen kann: einmal bei der Bestimmung dessen, was schlecht ist, und dann in der Festlegung des Umschlagpunktes.

Allein schon, um zu erleben, wie sehr doch auch am eigenen Geschmack der Zahn der Zeit nagt, lohnt es sich, „Plastikfieber“ anzuschauen.

Der Film ist eine Rarität auf ganz vielen Ebenen. Da ist die Besetzung: Romy Haag, eine Figur, die man weder mit einer Zweizeilen-Anmoderation noch mit ihrem Wikipedia-Eintrag erschöpfend bestimmen kann, spielt die Hauptrolle, eine Berliner Putzfrau mit Namen Clarissa Vornfeist, die, während sie mit rosa Staubwedel und Zigarette im Mund zugange ist, davon träumt, als Sängerin groß rauszukommen.

Wobei „groß rauskommen“ damals offenbar hieß, im Raucheisnebel einer Diskothek von schlechten Tänzern flankiert auf die Kamera zuzuschreiten.

Für den Fernsehzuschauer der 70er und 80er Jahre erfüllte Haag die nicht unwichtige Funktion, ihn auf geheimnisvolle und gleichzeitig auch sanfte Weise mit dem Konzept der Transsexualität vertraut zu machen, wobei man das Thema damals gerne mit Sprüchen wie „Männer sind die schöneren Frauen“ vor radikaleren Zuspitzungen bewahrte. Im Übrigen unterzog sich Haag erst fünf Jahre nach dem 1979 gedrehten „Plastikfieber“ ihrer „geschlechtsangleichenden Operation“.

Man muss das eventuell wissen, um die erste Szene genießen zu können, in der Haag in voller Putzfrauenmontur auf die Straße tritt, sich nach etwas Schmutz herunterbeugt und dabei zwei vorüberfegenden Straßenkehrern ihren Hintern in schönsten Raubtierdruck-Stretchhosen darbietet. Vieles in „Plastikfieber“ beruht genau darauf: dass nicht alles so ist, wie es scheint, aber vielleicht doch.

Das gilt in gewisser Weise auch für den zweiten Besetzungscoup: Otto Sander, damals noch zum allüberall Ehrfurcht erheischenden Starensemble von Peter Steins originaler Berliner Schaubühne gehörend, tritt hier als „Goldbroiler“ vertickender Imbissbudenfritze auf.

Dann aber stellt sich heraus, dass er in Wahrheit Künstler ist, der mittels seiner präparierten Hähnchen aus Haags Putzfrau eine „Plastik“ machen möchte, mit der er zur Kassler Documenta fahren kann. Zugegeben, einiges am Drehbuch zu „Plastikfieber“ klingt für heutige Ohren nach Stammtischwitz.

Mit „Plastikfieber“, den Helmut Wietz nach eigenem Drehbuch im Auftrag des WDR realisiert hat, habe man testen wollen, ob man abendfüllende Spielfilme auch kostengünstig mit der damals relativ neuen Videotechnik drehen könne, heißt es im Pressematerial zum Film. Doch das kann nicht die ganze Wahrheit sein.

Denn mit seinem Mut zum Trash, zur Improvisation und zur frivolen Ausstellung des schlechten Geschmacks geht „Plastikfieber“ über das rein technische Experiment weit hinaus. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass das für den Blick der damaligen Fernsehverantwortlichen anders war.

Aber genau das macht es, wie gesagt, so interessant, diesen Film heute anzuschauen: Während man fassungslos den Kopf schütteln könnte über die dargestellte Spießigkeit – das reaktionäre Putzfrauenbild! –, die miesen Klischees, die billige Inszenierung, ist man gleichzeitig damit beschäftigt, den inneren Historiker zu aktivieren, der einem erklärt, dass damals diese und jene Geschmacksübertretung in dieser und jener Hinsicht ungeheuer subversiv war.

So muss man zum Beispiel erst begreifen, dass die Plastikbegeisterung der verschiedenen Filmfiguren satirisch einen Zug der Zeit aufs Korn nimmt. „Plastik“ war offenbar damals ungefähr das, was heute „digital“ ist, ein Reizbegriff, in dem man das damalige „heute“ metaphorisch und konkret zusammenfasste. Heute dagegen ist Plastik nur noch Müll. Ob Berliner Putzfrauen davon träumen, auf Youtube groß rauszukommen?

■ „Plastikfieber“: Brotfabrik, 5.–11. September, 20 Uhr; Programm unter www.brotfabrik-berlin.de