Das ewige Netzwerk

MAIL ART Bei Mail Art durften alle mitmachen. Auch an den Peripherien des Kunstbetriebs – in Lateinamerika oder der DDR – verschickte man gern Kunst per Post. Die Akademie der Künste zeigt Kunst auf Postkarten

Mail Art machte die Grenzen zwischen High Art und Amateurkunst durchlässig

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Vielleicht sind Glenn Greenwald, Laura Poitras und David Miranda die letzten Überlebenden des „ewigen Netzwerks“. Sicher aber Geistesverwandte dieses illustren Zirkels. Gemeinsam haben sie im Juni Edward Snowden in Hongkong interviewt. Ihre Informationen müssen sie seither aus Sicherheitsgründen wie im Prä-Internet-Zeitalter physisch auf Festplatten und USB-Sticks von A nach B transportieren. Der Informationstausch ist wieder zur Sache eines kleinen Zirkels von Freunden geworden, die einander vertrauen.

Die Vision des „ewigen Netzwerks“ formulierten die Künstler Robert Filliou und George Brecht 1963. Sie meinten damit einen Zusammenschluss von Gleichgesinnten rund um den Globus, die per Post und durch Besuche in persönlichem Kontakt standen und ein „network of trust“ bildeten – wenn auch nicht, um gemeinsam politische Exposés zu fabrizieren, sondern um Kunst zu schaffen, die man sich per Post zuschickt.

Dass ein Kommunikationsprozess Kunst sein kann, ist eine Auffassung, die so utopisch und so radikal ist, dass sie immer noch nicht so richtig im Kanon der Kunstgeschichte angekommen ist. Dabei gehörten zur ersten Generation von Künstlern, die in den 60er-Jahren Mail Art produzierten, Leute wie Nam June Paik, John Cage, Yoko Ono, Dick Higgins oder Christo. Es lag in der demokratischen Natur des so entstandenen Netzwerks, dass bald auch Menschen ihre Werke verbreiteten, die keine bekannten Künstler waren. Das internationale Postsystem wurde auch von Künstlern als Medium entdeckt, die aus geographischen oder politischen Gründen nicht am internationalen Kunstbetrieb teilnehmen konnten und stattdessen ihren eigenen Briefkasten zur Galerie machten. So gab es in vielen Ländern Lateinamerikas in den 70ern und 80ern eine lebhafte Mail-Art-Szene.

Die besondere Qualität der Mail Art, die Grenzen zwischen High Art und Amateurkunst durchlässig zu machen, hat sie bis heute aber auch in einer kunsthistorischen Grauzone verharren lassen. Darum ist es verdienstvoll, dass nun die Ausstellung „Arte Postale. Bilderbriefe, Künstlerpostkarten, Mail Art“ in der Akademie der Künste an eine Zeit erinnert, in der eine Postkarte ein Kunstwerk sein konnte.

Die Ausstellung ist offensichtlich eine Herzensangelegenheit ihres Präsidenten. Klaus Staeck hat in seiner Edition Staeck mehr als 500 Postkarten von Künstlern wie Joseph Beuys, Yoko Ono, Ben Vautier, Dieter Roth und von sich selbst herausgegeben – als billige Multiples, die seiner Schätzung nach inzwischen mehr als eine Million Adressaten erreicht haben. Aus seiner eigenen Sammlung, die er in Kellern in der Heidelberger Altstadt gegen Maden und Silberfischchen verteidigt, stammt etwa ein Drittel der Exponate. Ein Auswahl der Postkarten der Edition Staeck kann man in der Ausstellung auch erwerben – unter anderem die legendären Holz- und Filzpostkarten von Joseph Beuys, die die Post bis heute vor Versandprobleme stellen. Man kann sie beschriften, frankieren, mit von Künstlern gestalteten Stempeln verzieren und in einen vom Sponsor Deutsche Post zur Verfügung gestellten Briefkasten werfen.

Der Geist der Mail Art lebte auch in der Kunstszene in der DDR. In dem vom internationalen Kunstbetrieb abgeschnittenen und von der Stasi durchleuchteten Land war die Post der DDR einer der wenigen direkten Drähte zum Rest der Kunstwelt – auch wenn die ostdeutsche NSA natürlich mitlas – und die „Gruppe Feind“ um Künstler wie Birger Jensch und Jürgen Gottschalk Mitte der 80er-Jahre so erfolgreich zersetzte, dass „die Problematik Mail Art aus operativer Sicht keinen Schwerpunkt“ mehr darstellte, wie es in einem ausgestellten Stasi-Schrieb heißt.

Ergänzt wird die Ausstellung durch künstlerische Post aus dem Archiv der Akademie der Künste, von George Grosz über Klabund bis zu Einar Schleef, der aus der BRD seiner in der DDR verbliebenen Mutter kleine Comics und Skizzen von der Whiskey-Flasche auf seinem Schreibtisch schickte.

„Das ist keine museale Ausstellung, sagt Akademie-Präsident Staeck. Und in der Tat sind für die Mail-Art-Aktion, die zur Ausstellung organisiert wurde, genug Werke eingegangen, um damit eine ganze Wand zu füllen – da funktioniert das ewige Netzwerk noch.

Aber den Bogen in die digitale Gegenwart schlägt die Ausstellung nicht. Die Internetversion der Mail Art fehlt: Die an konkrete Poesie gemahnenden Chaos-E-Mails von Künstlern wie Jodi oder Netochka Nezvanova, die im Web zirkulierenden Bastelanweisungen von Aram Bartholl und seinen Kollegen des FAT Labs kommen nicht vor, obwohl sie dem Geist der Mail Art nahe stehen. Beim Übergang von der postalischen Kommunikation zum digitalen Datenaustausch ist die Verbindung zum „Eternal Network“ verloren gegangen.

Bis 8. Dezember in der Akademie der Künste am Pariser Platz