Todbringendes Flatterband

Vor sechseinhalb Jahren stürzte in den Stahlwerken ein 30-Jähriger durch eine Bodenöffnung, die nur mit rot-weißem Band gesichert war. Gestern standen die mutmaßlich Verantwortlichen vor Gericht

von Eiken Bruhn

Die Zeugen konnten sich kaum noch an Details erinnern. Am 25. September 1999 war ein Arbeiter in den Bremer Stahlwerken gestorben, nachdem er durch eine Bodenöffnung zwölf Meter in die Tiefe gestürzt war. Aber wie hatte es dazu kommen können? Warum war überhaupt ein zwei Quadratmeter großes Loch im Boden? Wer hatte versäumt, es wieder zu verschließen oder wenigstens mit Absperrgittern so zu sichern, dass niemand hineinfallen konnte? War der damals 30-Jährige möglicherweise von einer großen Halogenleuchte geblendet worden? Und war es vor dem tödlichen Unfall öfter vorgekommen, dass in den Stahlwerken derartige Gefahrenquellen nur mit rot-weißem Flatterband markiert waren?

„Das ist so lange her, ich kann mich daran nicht mehr genau erinnern“, lautete gestern einer der meistgesprochenen Sätze im Amtsgericht, vor dem sich drei Männer wegen fahrlässiger Tötung verantworten mussten. Einer soll als Vorarbeiter von der ungesicherten Stelle gewusst haben, ohne für Abhilfe zu sorgen, die anderen beiden waren damals für eine Gerüstbaufirma häufig auf Baustellen in den Stahlwerken beschäftigt.

Er sei von seinem Mitangeklagten, seinem damaligen Vorgesetzten Kadri A., angewiesen worden, dort Bohlen abzuholen, die zuvor das Loch verdeckt hatten, sagte Alfred W. Nach den Ermittlungen hatte es aber eine Vereinbarung zwischen der Gerüstbaufirma und den Stahlwerken gegeben, wonach dies erst dann hätte geschehen dürfen, wenn die Wartungsarbeiten dort beendet gewesen wären. Alfred W. behauptete, er habe die Bohlen nicht vom Loch entfernt und habe es mit Flatterband abgesperrt. Das sei so üblich gewesen.

Nach dem Unfall, so erinnerten sich einige der gestern befragten Zeugen, habe sich diese Praxis geändert, seitdem würden Gitter benutzt. Vielleicht gab es die aber auch davor schon, vielleicht war noch nicht einmal Flatterband gespannt. Vielleicht hatte ein Kollege des Unfallopfers nur Glück gehabt, weil er zufällig so gelaufen war, dass er nicht zwölf Meter in den Tod stürzte. Das Loch habe er jedenfalls nicht gesehen damals, und Absperrband sei so viel herum-geflattert, dass niemand eine ernsthafte Gefahr dahinter vermutet hätte, so der Schlosser, der wenige Meter vor seinem Kollegen gegangen war.

Als der Richter ihn bittet, den Unfall zu schildern, wird deutlich, dass nicht für alle im Saal lange Zeit vergangen ist seitdem. Nur ein Satz reicht, und die 37-jährige Witwe, die als Nebenklägerin auftritt, bricht in Tränen aus. „Und dann habe ich hinter mir dieses Geräusch gehört“, sagt der ehemalige Kollege ihres verstorbenen Mannes. Als er sich umdrehte, war da niemand mehr. Er lag zwölf Meter tiefer. Mit dem Hubschrauber war er noch ins Krankenhaus geflogen worden, wo er kurz darauf starb. Eine seiner beiden Töchter war zu diesem Zeitpunkt erst wenige Monate alt. Sie fragt immer wieder nach dem Vater, erzählt die Schwester der Witwe. Entsprechend scharf reagierte Staatsanwalt Uwe Picard deshalb auch auf den Antrag der Verteidigung, das Verfahren wegen des großen Zeitabstandes zum Geschehen einzustellen: „Der Geschädigte ist noch länger tot.“

Der 30-Jährige war im Übrigen nicht der Letzte, der in den Stahlwerken tödlich verunglückte. Anfang 2004 war ein Arbeiter 15 Meter tief in den Tod gestürzt. Vor drei Monaten wurde ein 55-Jähriger von einem herabfallenden Eisenblock erschlagen.

Der Prozess wird fortgesetzt am Montag, dem 3. April, um 9 Uhr im Amtsgericht.