Ein Freizeitvergnügen für die Rechtsextremen

Bei den beiden Prozessen in Potsdam traf sich das Who’s who der rechten Szene auf den Zuschauerbänken. Selbst nach der Verkündung des Urteils schrecken sie nicht vor Rangeleien mit der Polizei vor dem Gerichtsgebäude zurück

„Sie sind so zahlreich vertreten, um die Zeugen einzuschüchtern“, sagt ein Prozessbeobachter

Rot und schwarz gefärbte Haare, Baseball-Caps, dunkle Halstücher, Ohren und Lippe sind gepierct – hätte eine der beiden jungen Frauen in einem kurzen Moment nicht den Angeklagten zu geblinzelt – vom Outfit hätten sie als linke Autonome durchgehen können.

Die beiden Frauen waren nicht die einzigen SympathisantInnen, die an fast allen der insgesamt 28 Prozesstage extra aus Berlin angefahren waren, um den beiden parallel laufenden Prozessen von den Zuschauerbänken aus beizuwohnen. Hätten die Justizangestellten des Potsdamer Landgerichts eine Anwesenheitsliste von der Zuschauertribüne geführt – die Liste hätte sich wie das Who’s who der Neonazi-Szene in Berlin-Brandenburg gelesen. Dem seit fast vier Monaten währenden Prozess wegen des brutalen Überfalls von 15 Rechten auf zwei Jugendliche stattete der Gründer der inzwischen verbotenen Berliner Kameradschaft BASO, René Bethage, ebenso einen Besuch ab wie die komplette Führungsriege der rechtsextremen Anti-Antifa aus Potsdam. Die beiden Frauen gehörten zur vor einem Jahr verbotenen Mädelschaft Tor aus Berlin-Lichtenberg.

„Sie sind so zahlreich vertreten, um die Zeugen einzuschüchtern“, sagte ein Prozessbeobachter. Doch nicht nur das. An jedem Prozesstag mit 15 bis 20 Anhängern anwesend, wollten die Neonazis anscheinend verhindern, dass die Gegenseite den Prozess überhaupt mitverfolgen kann. Obwohl der Saal 015 bereits der größte Verhandlungsraum im Potsdamer Landgericht war, verfügt er auf der Zuschauertribüne gerade einmal über Plätze für etwa zwei Dutzend Personen, acht davon waren Journalisten vorbehalten. An einigen Prozesstagen waren die Neonazis schneller und es gelang ihnen, nicht nur die Prozessbeobachter, die zur Unterstützung der Opfer gekommen waren, vom Einlass abzuhalten. Selbst einige Journalisten standen vor der wegen Überfüllung geschlossenen Holztür.

Die regelmäßige Anwesenheit sowohl hochrangiger Berliner als auch Brandenburger Neonazis belegt, wie eng inzwischen die Kontakte Potsdamer Neonazis zur Berliner Kameradschaftsszene sind. Galten sie lange Jahre als zerstritten, intensivierte sich der Kontakt vor allem seit dem Frühjahr 2005. Nachdem die Berliner Innenverwaltung die zwei aktivsten Kameradschaften Tor und die Berliner Alternative Süd-Ost (BASO) verboten hatte, verlagerten sie ihre Aktivitäten in die brandenburgische Landeshauptstadt. Auf Webseiten rief die rechte Szene den „Summer of hate“ aus.

Und tatsächlich: Fast wöchentlich kam es zu Übergriffen. Allein von Mai bis Juli 2005 gab es in Potsdam 19 Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund. Der Ablauf ähnelt sich stets. Für ihre Jagd auf alternative Jugendliche wählten die Neonazis als Ausgangspunkt Stadtteilfeste oder andere Feiern. Auch die Verurteilungen gestern gehen auf eins dieser „Grillfeste“ zurück. Bevor die Täter die beiden jungen Männer überfielen, kamen sie von einem dieser informellen Kameradschaftstreffen, an dem fast 60 Berliner und Brandenburger Neonazis teilgenommen hatten.

Abgeschreckt hat die Verurteilung die gestern anwesenden Neonazis anscheinend nicht. Im Gegenteil: Etwa 30 von ihnen legten sich im Anschluss der Urteilsverkündung direkt vor dem Landgericht mit Zivilpolizisten an. Das Potsdamer Landgericht darf sich wohl auch nach diesem Urteilsspruch mit Neonazis herumschlagen. FELIX LEE