Grüne und Linke verlangen EU-Verfahren gegen Briten

DATENSCHUTZ Europaparlament startet Aufklärung des Prism-Skandals. Privatisierung der US-Geheimdienste erschwert Untersuchung. Sie begünstigt auch die Wirtschaftsspionage auf dem Alten Kontinent. Institutionen gnadenlos ausgehorcht

BRÜSSEL taz | Die Privatisierung der amerikanischen Geheimdienste wird zum weltweiten Sicherheitsproblem – und erschwert die Aufklärung der NSA-Prism-Affäre. Dies sagte der SPD-Experte Gerhard Schmid zu Beginn einer ganzen Reihe von Expertenanhörungen zum Prism-Skandal am Donnerstag im Europaparlament in Brüssel.

Der US-Geheimdienst NSA habe so viele private Vertragsfirmen beschäftigt, dass niemand mehr für die Sicherheit der heimlich abgeschöpften Daten garantieren könne, ärgerte sich Schmid. Auch die Wirtschaftsspionage in Europa werde so begünstigt. EU-Institutionen in Brüssel und Washington würden gnadenlos ausgehorcht, weil sie keine vernünftige Spionageabwehr hätten. Schmid hatte bereits vor 12 Jahren die Ermittlungen zur „Echelon“-Affäre geleitet. Bei der Affäre um das weltweite Abschöpfen satellitengestützter Kommunikation sei die US-Spionage in Europa „zweifelsfrei bewiesen“ worden, sagte er. Doch der brisante Abschlussbericht des Europaparlaments zu Echelon ging im Chaos des Terroranschlags vom 11. September 2001 unter.

Die SPD will die neue Affäre dazu nutzen, die geheime Zusammenarbeit europäischer Geheimdienste mit dem NSA aufzuklären. Man müsse auch über eine europäische „Cloud“ nachdenken, also riesige Serverfarmen mit Standort auf dem Alten Kontinent, sagte SPD-Expertin Birgit Sippel. Grund: Bislang lagern viele Firmen ihre Daten bei Unternehmen in Übersee.

Grüne und Linke liebäugeln sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien – denn die Briten spionieren über ihr nationales Programm Tempora fleißig mit. Die EU könne sich nicht mit fehlenden Zuständigkeiten herausreden, so der Grünen-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht. Zur Not müsse die EU-Kommission aktiv werden. Allerdings ist dies in Brüssel umstritten. Bisher sind nur die EU-Staaten für die Geheimdienste zuständig. Viele Dienste tauschen ihre Informationen zudem mit Briten und Amerikanern aus. So ist es auch möglich, dass die Bundesregierung behaupten kann, deutsches Recht werde auf deutschem Boden nicht verletzt – denn im Zweifel können britische oder US-Schlapphüte die deutschen Daten auf ihrem Staatsgebiet anzapfen und auswerten.

Allerdings handele es sich bei Prism nicht um eine „Totalüberwachung“, sagt SPD-Experte Schmid. Den USA gehe es um die Überwachung Einzelner. Die NSA habe im April 117.000 Einzelüberwachungen vorgenommen, darunter zahlreicher Ausländer. Prism sei schwerer zu kontrollieren als Echelon, warnte Schmid. Dies liege an der Privatisierung der Geheimdienstarbeit und auch an der neuen Technik. Früher hätten die Geheimdienste für die Übermittlung der Daten in die USA noch weithin sichtbare Satellitenschüsseln gebraucht – heute reichen praktisch unsichtbare Unterseekabel. Diese werden vor allem von den Briten angezapft. ERIC BONSE