Ein einsamer Premier

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Vierter Aktionstag – vierter und bislang größter Erfolg: Hunderttausende Menschen protestierten gestern in Frankreich gegen den „contrat premi ère embauche“ (CPE) und andere Einschnitte in das Arbeitsrecht. Schon am Vormittag fanden in Bordeaux, in Marseille, in Rennes und in Lyon Demonstrationen mit jeweils mehreren tausend TeilnehmerInnen statt. Überall gingen SchülerInnen und StudentInnen an der Spitze. Weiter hinten folgten ältere Erwachsene, von denen viele mit der ganzen Familie auf die Straße gingen. In Paris, wo die Demonstration erst bei Redaktionsschluss der taz begann, war schon am frühen Morgen die Innenstadt so ruhig wie sonst nur in der Hochsommerpause im Juli und August. Der Streikaufruf, den alle fünf nationalen Gewerkschaften lanciert hatten, wurde vielfach befolgt.

Angespornt von dem Erfolg ihrer Mobilisierung ließen die Gewerkschaften schon Montag Vormittag Regierungschef Dominique de Villepin abblitzen. Der hatte sie zu einem neuen Gespräch für heute eingeladen – den Tag nach dem Streik. Doch zu einem Rückzug des CPE, den Arbeitsvertrag, der die Probezeit für Arbeitnehmer unter 26 auf zwei Jahre verlängert, während der sie täglich und ohne Begründung gekündigt werden können, zeigte er sich auch gestern nicht bereit. De Villepin schlug den Gewerkschaften lediglich weitere „Anpassungen des CPE“ vor. SprecherInnen der Opposition rufen angesichts des Autismus des Premierministers jetzt verstärkt nach einem Eingreifen des gesundheitlich angeschlagenen Staatspräsidenten. Jacques Chirac hat sich bislang nur am Rande von Pressekonferenzen zu dem Thema CPE geäußert. Dabei stellte er sich jeweils hinter seinen Premierminister, der den CPE ohne jeden Dialog im Hauruckverfahren eingeführt hat, und forderte zugleich alle Seiten zum „Dialog“ auf.

Besonders erfolgreich verlief der gestrige Streik in Schulen, Vorschulen und Kindergärten. Viele Eltern, die schon Tage vorher darüber informiert waren, dass die Schulen schließen würden, nahmen ihre Kinder mit zu den Demonstrationen. Keine einzige Zeitung gelangte gestern an die Kioske. Auch die meisten Radiosender waren bestreikt. Die wenigen privaten Sender, die gestern funktionierten, verzichteten auf die bei ihnen in den vergangenen Jahren üblich gewordene massive Porträtierung von StreikgegnerInnen. Der Grund: Gestern herrschte ein ungewöhnlich breiter Konsens in Frankreich darüber, dass der CPE weg muss. Diese Forderung vertraten auch Beschäftigte, die selbst nicht streikten.

Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln verlief der Streik regional unterschiedlich. In Paris waren Bus- und Metrofrequenz kaum spürbar geringer als sonst. In den meisten Regionen hingegen kam der Bus- und Bahnverkehr komplett zum Erliegen.

SchülerInnen und StudentInnen blockierten gestern mehr als 60 Universitäten und mehr als 1.000 Gymnasien im Land. Sprecher von ihnen verlangten gestern nicht mehr nur den Rückzug des CPE, sondern des kompletten „Gesetzes für die Chancengleichheit“ sowie des bereits im vergangenen August ebenfalls im Eilverfahren durch das Parlament gepaukte CNE. Das CNE sieht eine zweijährige Probezeit für Beschäftigte jeden Alters in Kleinbetrieben vor. Über die ersten nach dem CNE unterschriebenen und schon wieder gekündigten Verträge wird in diesen Wochen bereits vor den Arbeitsgerichten gestritten. Diese Prozesse zeigen, dass manche Patrons in Frankreich die Möglichkeiten eines ausgehöhlten Kündigungsschutzes extrem hart und gegen ihre Beschäftigten benutzen. Der Anti-CPE-Bewegung dient diese Vorgehensweise als zusätzliches Argument.

Sollte die Regierung ihr Gesetz nicht zurückziehen, wollen StudentInnen und SchülerInnen morgen Verkehrswege blockieren und am 4. April einen Generalstreik veranstalten.