Diese seltsamen weißen Rillen

Alltag Seit einigen Jahren sollen taktile Bodenindikatoren Sehbehinderten bei der Orientierung helfen. Doch die werden von Sehenden als Rad-Parkplätze missverstanden

„In der Stadt müssen Blinde ja auch stets mit Hindernissen rechnen. Dafür haben sie den Stock“

Sabine Brunkhorst, Deutsche Bahn

VON EIKEN BRUHN

Eigentlich sollte Nick Hämmerling keine Probleme haben, durch den Bahnhof zu seinem Gleis zu finden. Schließlich markieren dort wie an vielen Stellen im öffentlichen Raum weiße Leitstreifen den Weg. Doch offenbar weiß kaum jemand, dass diese Längsrillen eine Funktion haben: Sie sollen als sogenannte taktile Bodenindikatoren Blinden und Sehbehinderten bei der Orientierung helfen.

„Ich habe im Bahnhof schon einige üble Karambolagen erlebt“, erzählt der 26-jährige Hämmerling, „entweder die Leute stehen selbst auf dem Streifen oder ihr Gepäck.“ Nahezu jeden Tag fährt er, der seit seiner Geburt blind ist, mit der Bahn von Bremen nach Syke. Er arbeitet dort als Physiotherapeut. Wie alle PendlerInnen ist er morgens in Eileund ärgert sich, wenn er nicht vorankommt. Immer wieder habe er deshalb bei der Bahn nachgefragt, ob diese nicht mit Schildern darauf hinweisen könnte, warum die Längsrillen frei bleiben sollen.

Doch die hält eine Beschilderung nicht für nötig. „Das ist für uns eher kein Thema“, sagt Sabine Brunkhorst, die Sprecherin der Deutschen Bahn. Sie verweist darauf, dass die Bahn Bahnhöfe barrierefrei umbauen würde und dabei unter anderem die Leitstreifen und Informationen in Braille-Schrift installiert habe. Nach ihrer Erfahrung würde das Gepäck zur Seite geräumt, wenn sich jemand mit einem Taststock nähere. „In der Stadt müssen Blinde ja auch stets mit Hindernissen rechnen“, das sei im Bahnhof nicht anders. „Dafür haben sie den Stock.“

Dass nur wenigen Sehenden die Bedeutung der Leitstreifen bewusst ist – darauf deutet auch hin, dass auf ihnen vor dem Bahnhof Fahrräder geparkt werden. „Wir bekommen viele Beschwerden, dass die Leitstreifen dort zugeparkt sind“, sagt Anette Paul vom Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen.

Auch an die Fraktion der CDU in der Bremischen Bürgerschaft wurde das Problem herangetragen: „Wie bewertet der Senat die Situation, dass die Leitstreifen als Markierungslinie für das Parken von Fahrrädern angesehen werden?“, heißt es in einer Anfrage an den Senat. „Wir prüfen das“, sagt dazu am Freitagmittag Gudrun Eiden – die Assistentin der Pressesprecherin des Verkehrssenators. Weitere Fragen könne sie erst am Montag beantworten.

Keine Antwort vom Verkehrssenator gibt es daher zu einem Problem, das den Blinden Hämmerling täglich beschäftigt: Wie kommt er ohne Hilfe sicher über die Kreuzung Am Dobben/Dobbenweg zur Straßenbahn? „Gar nicht, das wäre lebensgefährlich“, sagt Hämmerling. Die morgendliche Überquerung der vielbefahrenen Kreuzung ist nahezu der einzige Moment in seinem Leben, bei dem er im Alltag nicht selbstständig sein kann. „Angenehm ist das nicht, ich habe sonst immer alles alleine gemacht“, sagt er, der erst seit diesem Jahr im Viertel wohnt.

Drei Straßen und mindestens zwei Straßenbahngleisbetten muss er überqueren. Er versteht nicht, warum die Kreuzung noch nicht umgebaut wurde, schließlich fehlt es dort an allem, was Sehbehinderten das Überqueren erleichtern könnte. „Es gibt keine Ampeln mit akustischem Signal, keine Leitstreifen, keine Bordsteinkanten und keine rechten Winkel, an denen man sich ausrichten kann“, zählt er auf. Erschwert wird die Situation dadurch, dass es dort sehr laut ist und er sich nicht auf sein Gehör verlassen kann.

Auch dem Blinden- und Sehbehindertenverein Bremen ist die Kreuzung als Problemzone bekannt. Schließlich hat dort ein Optiker, der sich auf Sehbehinderte spezialisiert hat, sein Geschäft, ein Augenarzt sitzt dort und sie ist ein Umsteige-Knotenpunkt im öffentlichen Nahverkehr. „Grundsätzlich gilt, dass überall dort, wo eine akustische Ampel fehlt, eine hin gehört“, sagt Paul. Und dass es eine Zumutung sei, wenn jemand wie Hämmerling jedes Mal nach jemandem suchen muss, der ihm helfen kann. Allerdings seien in Bremen schon viele Straßenquerungen blindengerecht umgerüstet worden, findet Paul. „Bremen steht eigentlich ganz gut da.“