„Wir fürchten das, was in uns steckt“

GERMAN ANGST Intendant Lars-Ole Walburg bringt Wilhelm Hauffs „Wirtshaus im Spessart“ auf die Bühne des Hannoveraner Schauspielhauses – und verspricht dabei nicht weniger als einen „Blick in die deutsche Seele“

■ 48, seit 1993 Dramaturg und Regisseur u. a. an der Volksbühne Berlin und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 1999 „Nachwuchsregisseur des Jahres“. Seit 2009 Intendant und Regisseur in Hannover.

VON ALEXANDER KOHLMANN

taz: Herr Walburg, vor zwei Jahren waren es die Wutbürger, 2013 war es die Finanzkrise. Zur Eröffnung dieser Spielzeit nun versprechen Sie mit dem „Wirtshaus im Spessart“ eine „Angstexpertise“. Was wollen Sie uns damit sagen?

Lars-Ole Walburg: Bei diesem Stoff denken natürlich alle an Lilo Pulver, und dagegen muss ich mich erst mal wehren. Mit der Verfilmung aus der Wirtschaftswunderzeit hat unser Abend wenig zu tun. Der Grundgedanke war, dass vieles, was wir Deutschen tun, sehr stark angstbesetzt ist. Im Großen, wie zum Beispiel beim Thema Terrorismus, oder auch im Kleinen, wie beim Thema Rentenversicherung.

Ist Angst denn so schlimm?

Angst ist ein Zustand, der sicher oft hilfreich und gut ist, auch für den Körper notwendig fürs Überleben, ganz oft aber in einen Zustand der Lähmung umkippt und dann zu einer Stagnation führen kann, zur Angststarre, aus der man sich nicht traut auszubrechen. Das war der Punkt, der mich interessiert hat: Inwieweit hat das mit Biologie zu tun? Inwieweit mit einem bestimmten Alter? Wieso nehmen Ängste in unserer Gesellschaft zu? Es gibt da ja viele Abstufungen.

In der Vorankündigung versprechen Sie einen „Einblick in die deutsche Seele“.

Ich mache den Abend ja zusammen mit dem kanadischen Musiker Alain Croubalian. Der hat armenische Wurzeln, ist in Ägypten aufgewachsen und hat dann in Genf studiert. Er spricht sechs Sprachen und ist ein wirklicher Kosmopolit. Als ich mit ihm über den Märchenstoff von Hauff gesprochen habe, kamen wir ganz schnell auf das Thema der „German Angst“.

Ein Begriff aus dem Amerikanischen.

Genau. Mehr als Angst, eine Art Hysterie, die uns Deutschen nachgesagt wird. Das war für uns eine wichtige Frage: Haftet uns das mehr an als anderen Völkern? Ziehen wir vielleicht die Negativ-Prognose der Positiv-Prognose vor, und geheimnissen wir vielleicht auch immer schon das Negative in die Zukunft hinein?

Und?

Ich verstecke mich jetzt hinter meinem Kollegen Croubalian. Der sagt: Ihr Deutschen habt ein Problem, ihr könnt Chaos nicht aushalten, ihr wollt alles organisieren. Das ist sicherlich nicht ganz falsch. Wenn man historisch rangeht, dann hat die deutsche Angst sicher auch mit Luther und dem Protestantismus zu tun. Und einem verlorengegangenen Grundvertrauen in den Schlachtereien des Dreißigjährigen Krieges. So etwas wirkt auch noch Jahrhunderte später nach.

Wird es auch aktuelle Bezüge geben? Immerhin fällt Ihre Premiere in die Endphase des Bundestagswahlkampfs.

Tatsächlich ist der Stoff für mich viel humaner und persönlicher als jetzt zum Beispiel die Tagespolitik. Man erfährt etwas über sich selbst und bestimmte Reaktionen. Und die kommen ja immer aus den kleinen persönlichen Ängsten. Die großen Ängste überfordern uns dagegen schnell.

Wollen Sie Ängste zerstreuen?

Ich wünsche mir, dass man an diesem Abend versteht, dass diese Ängste nicht allein von außen kommen, sondern dass wir Angst vor dem haben, was in uns selber steckt: die Gier, die Selbstsucht, der Neid. Und weil wir instinktiv wissen, dass wir diese Unmenschlichkeiten in uns tragen, haben wir Angst, dass sie uns von anderen entgegenkommen. Das ist dann der Räuber, den ich irgendwo da draußen mutmaße. In unserer Inszenierung lässt sich übrigens keiner sehen.

Keine Räuber?

Nein, das interessiert mich nicht. An dieser Stelle biegen wir auch ab von der Hauff’schen Rahmenhandlung. Ich mache da nichts mit Verwandlungskomödie, Räubern, Überfall und so weiter. Ich will damit nicht sagen, dass es keine Räuber gibt. Das wäre auch außerhalb der Hauff-Sagen eine dumme Behauptung.

Sondern?

Ich möchte klarkriegen, dass es für die Figuren auf der Bühne, aber auch für uns im realen Leben, egal ist, ob die Ursache für die Angst sichtbar wird. Auch wenn der Räuber unsichtbar bleibt, ist er genauso existent, weil er in den Köpfen dieser Menschen da ist. So sind ja Ängste, dass sie genauso bedrohlich sind, egal ob die Gefahr real vor der Tür steht oder nur gefühlt. Das ist wie bei der Angst vor dem Terrorismus.

Kommt die vor bei Ihnen?

Im Stück geht eine Figur in den Hof und späht ängstlich in die Dunkelheit. Dann kommt er rein, bibbert sich halb zu Tode und meint, er hätte draußen braune Gesichter gesehen. Das sind so Momente, wo ich merke, was soll ich da groß über Terrorismus erzählen, in dem Augenblick hat wahrscheinlich jeder von uns die gleiche Assoziation.

■ Premiere: Sa, 7. 9., 19.30 Uhr, Hannover, Staatstheater; nächste Vorstellungen: So, 8. 9., Mi, 11. 9., je 19.30 Uhr