Lettow-Vorbeck: Verbrecher oder Kriegsheld?

MILITÄRGESCHICHTE Paul von Lettow-Vorbeck war ein Soldat, der das Primat des Militärischen als selbstverständlich ansah. Den Tod Hunderttausender Afrikaner nahm er in Kauf, gegen die Weimarer Republik hat er geputscht

Für Triumphzüge gab es im März 1919 in Berlin eigentlich keinen Anlass. Das Deutsche Reich hatte den Ersten Weltkrieg verloren und Millionen Tote zu beklagen. In Paris arbeiteten die Alliierten die Details des Vertrages von Versailles aus. Da ritt zu klingendem Spiel und unter dem Jubel der Menge der General Paul von Lettow-Vorbeck mit den Resten seiner ostafrikanischen „Schutztruppe“ durch das Brandenburger Tor, als einziger deutscher General, der „im Felde unbesiegt“ geblieben war.

Vier Jahre lang hatte er sich gegen eine große Übermacht verteidigt. Als er sich im damaligen Deutsch-Ostafrika nicht mehr halten konnte, zog er mit Tausenden deutscher Soldaten sowie afrikanischen Trägern und Hilfssoldaten (Askari) durch den Busch.

Lettow-Vorbecks Karriere hatte 1900 mit einem freiwilligen Einsatz beim „Boxeraufstand“ in China begonnen. 1904 schiffte er sich nach Südwestafrika ein, um an dem Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama teilzunehmen. Als Adjutant des Generals Lothar von Trotha kämpfte er bei der Einkesselung der Herero am Waterberg mit. Im Anschluss trieben die Deutschen die Herero in die Wüste, wo sie sie sterben ließen.

Der Befehl von Trothas lautete: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen.“ In einem weiteren Feldzug besiegten die Deutschen das Volk der Nama und steckten es in ein Konzentrationslager auf der kargen, kalten Haifisch-Insel vor Lüderitz. Von den 20.000 Nama überlebte den Krieg nur etwa die Hälfte, von den 80.000 Herero überlebte weniger als ein Fünftel.

In seinen Erinnerungen kommentiert Lettow-Vorbeck den Herero-Krieg 1957: „Ich glaube, dass ein Aufstand solchen Umfanges erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden muss. Nach völliger Wiederherstellung der Autorität muss dann natürlich alles geschehen, um die Missstände abzustellen und die Eingeborenen zufrieden zu stellen.“

In Ostafrika, wo er ab 1914 das Kommando über die „deutsche Schutztruppe“ innehatte, entschloss sich Lettow-Vorbeck gegen den Befehl des zivilen Gouverneurs Heinrich Schnee zu einer offensiven Verteidigung der Kolonie, um gegnerische Truppen zu binden. Er selbst spricht von bis zu 400.000 gegnerischen Soldaten, die in den Kampf eingegriffen hätten, andere Quellen von 160.000 – eine angesichts der Millionenheere in Europa überschaubare Zahl. Dabei starben 500.000 bis eine Million Afrikaner, überwiegend Zivilisten.

Zurück in Deutschland rückte Lettow-Vorbeck im Auftrag des Reichswehrministers Gustav Noske (SPD) mit einer Freiwilligen-Division in Hamburg ein, um die sogenannten Sülze-Unruhen niederzuschlagen. Danach übernahm er das Kommando über die Reichswehrbrigade 9 in Schwerin, wo er sich im März 1920 am Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Regierung der Weimarer Republik beteiligte. Gestützt auf seine Truppen setzte er die Regierung Mecklenburg-Schwerin ab. Bei folgenden Unruhen in Schwerin erschossen seine Soldaten 15 Menschen.

Nach dem Scheitern des Putsches wurde Lettow-Vorbeck des Hochverrats angeklagt. Dass er nicht verurteilt wurde, verdankte er einem Amnestie-Gesetz. Aus der Reichswehr wurde er unter Gewährung einer Pension entlassen.  GERNOT KNÖDLER