Ein Todesfall wird Politikum

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Ab Dienstag wird Cihan A. vor der dritten großen Strafkammer des Verdener Landgerichts der Prozess gemacht. Angeklagt ist er wegen Mordes an Daniel S. – und längst ist der Fall zum Politikum geworden: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat den Tatort besucht und der Gemeinde Weyhe Hilfe angeboten. Deren Bürgermeister Frank Lemmermann (SPD) sah sich genötigt, Anzeige zu erstatten gegen Drohbriefschreiber aus dem rechtsextremistischen Lager.

Dabei hatte die Tat selbst mit Politik wohl nichts zu tun: Ein Streit, den das Opfer, der 25-jährige Daniel S. als Unbeteiligter hatte schlichten wollen, war Ausgangspunkt. In der Nacht zum 10. März hatte die verbale Auseinandersetzung in einem Miet-Bus begonnen, auf der Heimfahrt von einer Disko. Sie hatte die Mitfahrer in zwei Lager gespalten. Als Daniel S. bei der Ankunft in Kirchweyhe als erster aus dem Fahrzeug stieg, wartete draußen bereits Cihan A. mit anderen jungen Männern. Er soll den Lackierer im Kung Fu-Stil, die Füße voran, attackiert haben, mit Tritten und Schlägen traktiert, bis Daniel S. leblos liegen blieb: Zunächst ins Koma gefallen, starb er vier Tage später im Krankenhaus.

Niedere Beweggründe und Heimtücke erkennt die Staatsanwaltschaft als Tatmerkmale. „Anlass des Streits waren nicht die Nationalitäten der Beteiligten“, das hatte sie schon kurz nach der Todesnachricht bekannt gegeben. Mit dieser Klarstellung reagierten die Ermittler auf die massiven Versuche der rechten Szene, den Fall für sich zu instrumentalisieren. Stoppen ließ sich dieser Missbrauch dadurch nicht: So schwadronierte der Katzenkrimi-Autor Akif Pirinçci inspiriert durch Weyhe-Berichte in einem Blog von einem „schleichenden Genozid“, den Muslime angeblich „an deutschen Männern“ begingen.

Sowohl die Blut-und-Boden-fixierte „identitäre Bewegung“ als auch die NPD und die aktuelle Formation des Hamburger Neonazis Christian Worch – die Partei „Die Rechte“ – griffen solche Parolen gerne auf. Ihre Versuche, mit Mahnwachen oder Aufmärschen die örtlichen Trauerfeiern zu entern, scheiterten jedoch regelmäßig an der Zivilcourage der Weyher, des lokalen Präventionsrates sowie der Gemeindespitze.

Jetzt also ist die Sache vor Gericht. Angesetzt sind 20 Prozesstage.  BES