Wählen oder nicht

In einem taz-Gespräch vom 2. 9. spricht Harald Welzer übers Schrumpfen, einen extrem guten Wahlslogan und warum er am 22. September nicht wählen wird. Zahlreiche taz-LeserInnen erklären hier, warum sie das Nichtwählen für einen Fehler halten.

■ betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Lieber Herr Welzer, es gibt reichlich gute Gründe, nicht zur Wahl zu gehen und sich so einer Zumutung zu widersetzen! Es gibt allerdings einen wichtigen Grund, auf jeden Fall an der Wahl teilzunehmen, und dieser Grund ist gewichtiger als alle Zumutungen einer Wahl: Der Respekt und die Verantwortung gegenüber all den Menschen, die heute und in der Vergangenheit wegen ihres Wunsches nach einer freien Wahl verfolgt, eventuell gefoltert oder getötet wurden.

Machen Sie es wie ich, der fast immer das kleinere Übel gewählt hat in dem Bewusstsein, dass meine Wahlteilnahme belegt, dass Verfolger und Tyrannen nicht das letzte Wort haben sondern ihre Opfer! Entschuldigen Sie, wenn das vielleicht zu pathetisch klingt.

Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre Entscheidung nochmals überdenken würden. MATTHIAS FLENDER, Mainz

■ betr.: „betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Professor Welzer versucht, seine Wahlabstinenz intellektuell zu rechtfertigen. Das muss misslingen. Denn als Hausbesitzer mit staatlicher Jobgarantie und dickem Pensionsanspruch gehört er doch selbst zum von ihm verachteten Politikbetrieb. Er hat also ein Luxusproblem. Das sei ihm gegönnt, hilft aber nicht bei der Lösung der von ihm zu Recht beschriebenen weltweiten Probleme. Nur am Rande: Nichtwähler senken die Wahlbeteiligung und stärken damit indirekt die NPD. Hardcore-Nazis gehen auf jeden Fall wählen. Wieder einmal zeigt sich, dass eine formal hohe Bildung nicht mit Klugheit übereinstimmen muss.

JÜRGEN LANGE, Falkensee

■ betr.: „betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Danke für das Interview mit Harald Welzer, dem arroganten Nicht-Wähler. Durch die Fragen wurde sicher so manchem Leser noch mal deutlich, dass sein Verhalten auf diesem Gebiet kein Vorbild sein sollte. Nichts deprimiert mich mehr als eine niedrige Wahlbeteiligung. Demokratie lebt vom Mitmachen. Harald Welzer bleibt die Antwort schuldig, wie eine andere, bessere Gesellschaftsform aussehen könnte.

Auch in seinem Buch „Selbst denken / Anleitung zum Widerstand (dieses Kapitel findet man erst auf Seite 282) und bei der Veranstaltung zu diesem Buch mit ihm habe ich nichts Konkretes zu diesem Thema entdecken können. DAGMAR REEMTSMA, Hamburg

■ betr.: „betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Ich fürchte, Herr Welzer ist nicht verstanden worden. Er vermisst die Diskussion, wie man auf unserem Planeten leben kann, ohne auf ständiges Wachstum angewiesen zu sein. Das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern ist die größte Herausforderung der Menschen für die allernächste Zukunft.

Alle Parteien, unsere Wirtschaft, unser Leben müssen sich den Tatsachen stellen, dass unsere Ressourcen zur Neige gehen. Energie, Bevölkerungswachstum, Nahrungsmittel, Wasser, Luft, Rohstoffe sind globale Probleme, die durch ständigen Wachstumszwang … ich mag gar nicht daran denken, zu was das führen kann. Das Heer der Nichtwähler fühlt, dass die einzelnen Parteien hier überhaupt keine Anregungen bieten.

Diejenigen, die ein anderes Verständnis unserer Möglichkeiten und die Grenzen erkennen, können ein zukunftsfähiges Lebenskonzept erarbeiten, damit unsere Umwelt und Natur erhalten bleibt und nicht verbraucht wird.

HUBERTUS STORR, Rosenheim

■ betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz 2. 9. 13

Was hat Welzer in der Wahl.taz zu suchen? Er hat zum Thema Politik und Wahlen nichts beizutragen.

Stattdessen verstärkt er die Merkel-Doktrin eines Wahlkampf der Gleichmacherei und Entpolitisierung. Ganz nach dem Motto: Jeder Nichtwähler nutzt Merkel. Salonlöwen wie Welzer, Paech und andere wollen in ihrer Rechthaberei nicht verstehen, dass es selbstverständlich einen Unterschied macht, ob man eine Energiewende von unten mit und für die BürgerInnen macht oder ob man eine schwarz-gelbe Energiewende für die Konzerne macht.

Wenn Harald Welzer über die Wachstumsfrage in der Politik nachdenken will, sollte er sich die Mühe machen, die 800 Seiten Bericht der Wachstums-Enquete des Bundestags zu lesen, auch dann würde er durchaus Unterschiede ausmachen, zwischen denen es sich lohnt zu wählen. So aber wünsche ich ihm viel Vergnügen, wenn er den lärmgeplagten AnwohnerInnen von Schönefeld und Tegel erklärt, dass ihr Lärmproblem nur Killefitz ist und wir stattdessen lieber grundsätzlich über die Fliegerei reden müssen (was den Menschen in 50 Jahren vielleicht hilft).

ARND GREWER, Berlin

■ betr.: „Verdammt noch mal, können wir mal über andere Fragen diskutieren“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Ich teile Harald Welzers in „Selbst denken“ dargelegte Meinung, dass die Politik an einer „modernen Gesellschaft nach dem Wachstum“ arbeiten sollte. Diese Richtung hat tatsächlich im derzeitigen Wahlkampf keine einzige Partei im Angebot. Allerdings hätte ich mir von Herrn Welzer eine Erklärung dafür gewünscht, warum er sich für das Nichtwählen entschieden hat und nicht für das Ungültigwählen.

Die politisch interessierten Nichtwähler können nicht von den Desinteressierten unterschieden werden. Wohingegen Ungültigwähler deutlich machen, dass sie aktiv an der Wahl teilnehmen.

So hat etwa das Statistische Landesamt Rheinland-Pfalz bereits bei der Analyse der Bundestagswahl 2009 festgestellt, dass 2,4 Prozent der Wähler ungültig wählen und von diesen die überwiegende Mehrheit (85 Prozent) das bewusst und „wohlüberlegt“ tut.

KATHARINA BORG, Dortmund

■ betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Welzers Argumente kann ich nachvollziehen, seine Schlussfolgerung jedoch nicht. Er sagt, dass er nicht dazu auffordert, seinem Beispiel zu folgen. Eine Alternative dazu bietet er jedoch auch nicht an. Und dass, obwohl er in seinem Buch „Selbst Denken“ dazu auffordert, Handlungsspielräume zu nutzen. Die gibt es und die erschöpfen sich nicht mit allgemeiner Parteienkritik und Verweigerung. Wer sind denn „die Parteien“? Sie entstehen nicht aus dem Nichts, sondern sind ein Zusammenschluss von Menschen, die Politik gestalten wollen. Wenn es uns nicht gefällt, wie sie das machen, können wir mitmischen. Jeder und jede kann als aktives Mitglied einer Partei seiner Wahl an den politischen Inhalten mitwirken. Das müssten allerdings viel mehr Menschen machen, als das bisher der Fall ist. Einige wenige werden es nicht schaffen, die verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Dafür bräuchten wir schon mehr. Vielleicht würden ja die drei bis fünf Prozent Veränderungswilliger aus allen Gesellschaftsschichten ausreichen, die Welzer in seinem Buch als die Menge benennt, die genügt, um Veränderungen in Gang zu bringen: in den Ortsgruppen, -vereinen und -verbänden, in Stadt- und Gemeinderäten, auf Landes- und Bundesparteitagen, in Landtagen und im Bundestag. Das ist nicht einfach und braucht seine Zeit und auch dafür gibt es keinen Masterplan. Nicht zur Wahl zu gehen, verändert hingegen gar nichts. Es führt nur dazu, dass eine immer geringer werdende Anzahl von Menschen darüber entscheidet, wer in Deutschland und Europa welche Politik macht.

IRIS FREUNDORFER, Leichlingen

■ betr.: „Verdammt noch mal …“, wahl.taz vom 2. 9. 13

Ich schätze Harald Welzer sehr als einen der wenigen konsequenten Vorkämpfer für eine Postwachstums-Gesellschaft. Nicht einverstanden bin ich jedoch mit dem Signal, das er mit seinem Plädoyer fürs Nichtwählen aussendet.

Auch wenn die Demokratie zunehmend an die Grenzen wirtschaftlicher Macht stößt, so ist das Wahlrecht zu hart erkämpft worden, um es jetzt einfach nicht auszuüben. Ich kann ja nachvollziehen, wenn er sich von den zur Auswahl stehenden Parteien nicht repräsentiert fühlt. Aber für selbst denkende und sich ernst nehmende Menschen sehe ich eine aktive ungültige Stimme als bessere Alternative zum passiven Nichtwählen. Und sie ist auch das stärkere Signal für ein Nicht-Einverständnis mit den herrschenden Verhältnissen. Auf diese Option geht er aber leider gar nicht ein. Dabei ist sie bei der bevorstehenden Wahl eine Chance, die FDP unter fünf Prozent zu bringen, damit neoliberale Blockaden zu erschweren und neue Spielräume für zukunftsweisende Veränderungen zu eröffnen. Das ist überhaupt nicht unerheblich für die Rahmenbedingungen, mit denen sich Bürgerenergiegenossenschaften und andere Projekte von unten täglich herumplagen müssen. Deshalb fordere ich Harald Welzer dazu auf, Menschen mit ähnlicher Motivlage offensiv zur Abgabe von ungültigen Stimmen aufzurufen, statt sich bloß als prominenten Nichtwähler darzustellen.

WOLFGANG SCHÄFER, Waldkirch