in fußballland
: Nacktbild in der Lobby

CHRISTOPH BIERMANN besucht ein Golfhotel in Wuppertal und trifft unter anderem Paul Gascoigne

„It always rains in Wuppertal“, hat Der Plan vor vielen Jahren gesungen. Das mag übertrieben sein, aber im Tal entlang der Wupper regnet es wirklich viel, und das tat es auch bei drei seltsamen Besuchen, die ich im Nordosten der Stadt in einem Golfhotel machte, wo oft Fußballteams abstiegen. Bei meinem zweiten Mal hatte sich dort der VfL Bochum einquartiert und der Präsident des Klubs lud mich zu einem Hintergrundgespräch ein, das sich aus heiterem Himmel zu einer Art Erzählung des Lebens auswuchs.

Beim dritten Ausflug wollte ich mit Thomas Doll sprechen, der damals bei Lazio Rom unter Vertrag stand. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Hotel stolperte ich zunächst über drei seiner Mitspieler im Trainingsanzug, die sich rauchend unter einen Dachvorsprung gestellt hatten und wie erwischte Schüler ihre Kippen hinter dem Rücken versteckten. In der Hotel-Lobby half mir Paul Gascoigne, seinen Kollegen Doll von meiner Ankunft zu unterrichten. Als ich jedoch mit dem heutigen Trainer des HSV beim Gespräch zusammensaß, platzte Gazza mit dem ungebremsten Schwung eines Kindes dazwischen. Der englische Nationalspieler zeigte die aktuelle Ausgabe des Playboy, dessen Centerfold er ausgeklappt hatte. Aufgeregt damit wedelnd wollte er alle an seiner Begeisterung für die Oberweite des abgebildeten Playmates teilhaben lassen.

Meine erste Reise ins verregnete Fußballerhotel, so dachte ich, würde schon mindestens zwei Jahrzehnte zurückliegen, aber Günter Netzer war erst zwischen dem August 1991 und April 1992 als Manager beim FC Schalke 04 angestellt. Obwohl Manager eigentlich nicht der richtige Begriff ist, denn Netzer hielt sich so selten in Gelsenkirchen auf, dass er entweder als „Telefon-Manager“ bezeichnet wurde oder als ein persönlicher Berater des damaligen Präsidenten Günter Eichberg. Die Verbindung von Netzer und Schalke war ein Fiasko und fiel in jene Zeit, wo der Klub noch die Dauerabspielstätte von rumpelnder Fußball-Folklore und unverblümter Peinlichkeit war. Aber was soll ich spotten, ich selbst war ja nicht besser.

Wahrscheinlich habe ich deshalb meine Begegnung mit Netzer auch so weit zurück in die Vergangenheit verlegen wollen. In eine Zeit, in der ich noch jung und dumm sein durfte. Leider war ich damals zwar ganz schön dumm, aber nicht mehr wirklich jung. Dabei ließ mir Netzer während des Interviews in Wuppertal vermutlich nicht einmal eine Sonderbehandlung bekommen. Nur, dass ich erst merkte, wie sehr ich mich blamiert hatte, als ich daheim das Aufnahmeband abhörte. Dabei war mit einem ziemlich guten Gefühl weggefahren, denn das Gespräch mit dem ehemaligen Nationalspieler hatte ich schnell als sehr angenehm empfunden. Klar, ich hatte ein paar unangenehme Fragen gestellt, aber trotzdem war Netzer ruhig geblieben, und das hatte mich für ihn eingenommen – weil ich ein Trottel war.

Als ich das Band abspielte, wurde mir von Minute zu Minute klarer, was passiert war. „Da haben Sie eine gute Frage aufgebracht“, hörte ich Netzer sagen. „Richtig, dass Sie mich darauf ansprechen“, meinte er an anderer Stelle. „Das haben Sie gut beobachtet“, säuselte er. Oder: „Besser kann man es nicht formulieren.“ So ging das weiter, und ich war stolz darauf, dass der Held meiner Kindheit die Fragen verdammt clever fand. Ich war so geschmeichelt, dass ich nicht richtig zuhörte, welch windelweiche Antworten er mir gab. Das Interview erschien nie, wen hätten auch Netzers Ausflüchte und das Dokument meines Scheiterns interessiert. Aber wenn ich heute im Regen durch Wuppertal fahre, denke ich an Netzer und dass bei mir niemand mehr mit einem Lob für Fragen durchkommt.