Hauptschule ohne Freunde

Nach den schlechten Pisa-Ergebnissen will Hamburgs CDU die Hauptschule aufgeben. Eine Expertenkommission erforscht eine neue Schulstruktur. Die anderen Nordländer sind hellhörig

Zwei-Säulen-Modell oder Zwei-Klassen-Schule? Diese Frage könnte die SPD-Bildungspolitiker in Hamburg zerreißenWirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn sagt, das dreigliedrige Schulsystem sei mitverantwortlich für hohe Arbeitslosigkeit

von KAIJA KUTTER

Es war eine kleine Revolution: Nach Bekanntgabe der schlechten Ergebnisse von Pisa 2003 sagte Hamburgs CDU-Schulpolitiker Robert Heinemann, er sei bereit, die Hauptschule aufzugeben und nach Vorbild Sachsens ein „Zwei-Säulen-Modell“ aus Gymnasium und Mittelschule zu installieren. Doch nach der ersten Freude wurden den Hamburger Grünen und der SPD die Sache unheimlich. Denn Heinemann wollte die Gesamtschulen im Zuge der Reform gleich mit erledigen und schon im Schuljahr 2007 beginnen. Um den Elan des 31-jährigen Jungpolitikers zu bremsen, beantragten SPD und Grüne die Einsetzung einer „Enquete-Kommission zur Schulstruktur“, die am vergangenen Wochenende erstmals zu einer inhaltlichen Sitzung zusammenkam.

Grüne und rote Schulpolitiker aus Kiel und Hannover blicken mit Interesse auf die Elbmetropole: Es bietet sich die Chance, den heimischen Christdemokraten, die immer noch an der Hauptschule festhalten, eine ähnliche Beweglichkeit abzufordern. Im Landkreis Lauenburg war Finanz-Staatssekretär Klaus Schlie allerdings vor kurzem mit einem Antrag für ein Zwei-Säulen-Modell bei der CDU-Basis abgeblitzt.

Auch in Niedersachsen stellt sich die Diskussion um die Schulstruktur neu. „Im Moment hält die CDU hier die Hauptschule noch hoch“, berichtet die grüne Schulpolitikerin Ina Korter. Doch schon allein im Zuge der demografischen Entwicklung werde sich die Frage neu stellen. Seit Abschaffung der Orientierungsstufe im Jahr 2004 befinden sich die Schülerzahlen der Hauptschulen im Sinkflug und erreichten in größeren Städten wie Hannover und Braunschweig historische Tiefststände von acht beziehungsweise zehn Prozent.

Doch bevor es neue Anstöße aus Hamburg gibt, müssen sich die übrigen Schulpolitiker des Nordens gedulden. Ein Jahr wird der Sitzungsmarathon der Hamburger Enquete unter Vorsitz des früheren sächsischen CDU-Kultusministers Matthias Rößler dauern und sich erst im Januar 2007 überhaupt an das Thema „Vielgliedrigkeit des Schulsystems reduzieren“ heranwagen.

Zuvor wird sich die von Hamburger Abgeordneten ergänzte Expertenrunde akribisch mit der Datenlage und der Frage beschäftigen, wie sich die hohe Zahl von 30 Prozent „Risikoschülern“ in Hamburg senken lässt, die in der neunten Klasse nur auf Grundschulniveau rechnen und schreiben können. Vorbildland Sachsen hat nicht nur bessere Leistungen der Gymnasien vorzuweisen, sondern erzielt auch bei der Vermeidung von Risikoschülern größere Erfolge als der Pisa-Bundessieger Bayern.

Für die grüne Schulpolitikerin Christa Goetsch stellt sich die Frage, ob sich der Erfolg Sachsens überhaupt auf Hamburg übertragen lässt, da die Hansestadt eine ganz andere Schülerzusammensetzung hat. So hat in Hamburg jeder dritte Schüler einen Migrationshintergrund, in Sachsen jeder zwanzigste. Diese Schüler sind in dem ebenfalls bei Pisa abgefragten Bereich „Problemlösungskompetenz“ sehr gut, was bedeutet, dass sie keineswegs unintelligent sind, sondern der Matheunterricht für sie schlicht ungeeignet ist. Allein in Mathe werden in der Grundschule 700 neue Begriffe eingeführt, die Migrantenkinder nicht verstehen, wenn der Lehrer sie nicht „sprachsensibel“ einführt, wie der Bildungsexperte Ulrich Vieluf auf der ersten Enquete-Sitzung mahnte.

Für Beobachter ist derzeit kaum vorstellbar, dass die bunt gemischte Kommission, die vom früheren GEW-Chef Dieter Wunder auf der einen bis zum einst von der Schill-Partei nominierten Ex-Staatsrat Reinhard Behrens auf der anderen Seite reicht, sich auf ein gemeinsames Votum einigen wird. Heinemann hält an seiner Idee des Zwei-Säulen-Modells fest, die Hamburger Grünen fänden es nur als Übergangslösung akzeptabel und sehen die Gefahr einer Zwei-Klassen-Schule.

Noch ungeklärt ist die Position der SPD, die das Thema vor eine Zerreißprobe stellt. „Wir sind noch am diskutieren“, sagt die SPD-Obfrau Britta Ernst. Während die Parteispitze damit liebäugelt, die Zwei-Säulen-Schule ins nächste Wahlprogramm aufzunehmen, hat insbesondere die Gesamtschulklientel starke Bauchschmerzen. Denn sollte diese Schule, wie die CDU plant, in der zweiten Säule mit den Haupt- und Realschulen verschmelzen, könnten noch weniger Eltern als bisher bereit sein, ihre Kinder mit Gymnasialempfehlung dorthin zu geben. „Dann haben wir“, so eine SPD-Frau, „die Zwei-Klassen-Schule pur“. Dieser Anteil ist mit elf Prozent ohnehin winzig, aber immerhin schafft es diese Schule, auch 21 Prozent der Kinder ohne diese Empfehlung so zu fördern, dass sie die zentrale Prüfung für die Oberstufe bestehen.

Auch in Hamburgs SPD gibt es deshalb eine nennenswerte Gruppe, die wie die Grünen für die „Schule für alle“ eintritt. Seit kurzem haben sie prominente Unterstützung aus dem konservativen Lager: Der Münchner Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn sagte, das dreigliedrige Schulsystem sei mitverantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland und gehöre „in den Abfalleimer der Geschichte“. Weil die Begabungsreserven bei den Arbeiterkindern nicht ausgeschöpft werden, müsse man über die Gesamtschule neu nachdenken.

Die Hamburger CDU wird so weit nicht gehen. Sein Zwei-Säulen-Modell sei „in der CDU mehrheitsfähig“, sagt Robert Heinemann, und er hoffe, auch die von der SPD nominierten Experten für seine Vorstellungen zu gewinnen. Schließlich will er nicht weniger als „den Schulstreit beenden. Und nicht einen neuen beginnen“.