Plötzlich schlechte Luft

Eigentlich ist die Belastung der Atemluft mit Feinstaub im Norden eher kein großes Thema. Spitzenreiter Göttingen steht dennoch kurz davor, die Höchstgrenze zu überschreiten – Gegenmaßnahmen werden dort bislang keine ergriffen

Im vergangenen Jahr war alles gut – und die Luft in Göttingen meistens rein. Allerorten explodierten die Werte für die Belastung durch Feinstaub, doch in der Universitätsstadt wurde das Limit von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter gerade mal an 31 Tagen erreicht. 2006 ist plötzlich alles anders: Bereits an 34 Tagen wurde der Grenzwert überschritten, und plötzlich ist Göttingen Feinstaub-Spitzenreiter in Niedersachsen. Spätestens beim 35. Mal, schreibt indes ein Erlass aus Brüssel vor, müssen die Behörden wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen.

Für den scheinbar dramatischen Anstieg der Belastung gibt es eine simple Erklärung: Bis zum vergangenen Jahr hatte die Verwaltung nur eine einzige Messstation im Stadtgebiet aufgestellt: in einer für den Autoverkehr gesperrten Straße am Universitätssportgelände, inmitten weitläufiger Rasenflächen. Rußpartikel aus Auspuffen und Industrieabgase schlugen sich hier, nicht überraschend, kaum nieder.

Zwar hatten Umweltschützer schon frühzeitig weitere Messungen verlangt, doch zunächst schalteten die Stadtoberen auf stur. Eine weitere Station sei nicht nötig und zudem schwierig zu beschaffen, hieß es. Erst als das Thema Feinstaub immer höher kochte und Bürgerinitiativen und Grüne den politischen Druck erhöhten, ließ die Stadtverwaltung im Dezember eine zweite Apparatur in der Bürgerstraße installieren. Dieser Ring um die Göttinger Innenstadt ist stark befahren, das hier ermittelte Aufkommen ist also realistischer als jenes aus dem Vorjahr.

Dass der Höchstwert der Belastung durch Feinstaub im Schnitt nun an jedem dritten Tag überschritten wird, hat auch die anderen Ratsfraktionen aufgeschreckt. Sie forderten die Verwaltung auf, einen Aktionsplan für den Stichtag vorzulegen, an dem der Wert das 35. Mal erreicht wird. Das kann schon heute, morgen oder übermorgen passieren – das vorgeschriebene Konzept für Gegenmaßnahmen gibt es jedoch noch nicht einmal in Ansätzen.

Der Umweltausschuss des Stadtrates befasste sich am vergangenen Dienstag mit dem Thema und zog auch externe Experten zu Rate. Der geladene Vertreter des Niedersächsischen Umweltministeriums behauptete dabei entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse, dass der Straßenverkehr nur 40 Prozent zur Feinstaubbelastung beisteuere. Davon kämen wiederum lediglich 20 Prozent aus den Auspuffen, die restlichen 80 Prozent seien von den Autoreifen aufgewirbelter Staub. Rußfilter für Dieselfahrzeuge, meinte der Ministerialbeamte, brächten also fast nichts.

Überhaupt zeigten lokale Maßnahmen wegen der weiträumigen Dauerbelastung kaum Wirkung. Das war selbst einem CDU-Ratsherrn zuviel. Die Haltung des Ministeriums sei „ein Schlag ins Gesicht für alle, die etwas machen wollen“, empörte sich der Christdemokrat. Das Göttinger Tageblatt konstatierte nach der Sitzung „Allgemeine Ratlosigkeit“.

Die Göttinger Grünen wollen morgen auf der Autobahn A 7 gegen die hohe Feinstaubbelastung protestieren. Sie haben andere Kreisverbände zu einem Boßel-Turnier zwischen den Anschlussstellen Göttingen und Göttingen-Nord eingeladen. Die Teilnehmer an der von den Behörden genehmigten Aktion wollen Atemschutzmasken tragen. REIMAR PAUL