Fusion der Starthilfen

Die viel geschmähte Ich-AG ist besser als ihr Ruf, verkünden Arbeitsmarktexperten. Weil das Modell einige Macken hat, soll es mit dem eng verwandten Überbrückungsgeld zusammengelegt werden

VON PETER HERMANNS

Vor wenigen Wochen wurde die viel geschmähte Ich-AG plötzlich als Erfolgsstory der Hartz-Ära gefeiert. War nicht kurze Zeit zuvor noch von Kostenexplosionen, hohen Abbruchquoten und „Mitnahmeeffekten“ die Rede? Alles falsch, meint das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in einer neuen Studie. Die Ich-AG sei besser als ihr Ruf und vermeide erfolgreich eine Rückkehr in die Arbeitslosigkeit. Trotzdem soll zum 30. Juni dieses Jahres Schluss sein. Dann, so sieht es die schwarz-rote Koalitionsvereinbarung vor, soll die Ich-AG mit dem Überbrückungsgeld zusammengelegt werden.

Die Geschichte der Ich-AG gleicht der eines diskriminierten Kindes, das von den Eltern als hoch begabt und von seiner Umwelt als Taugenichts wahrgenommen wird. Nach dem Willen seines „Ziehvaters“, des Ex-VW-Personalvorstands Peter Hartz, sollten arbeitslose Menschen mit Förderung der damaligen Bundesanstalt für Arbeit (BAA) ihre Fähigkeiten als Selbstständige umsetzen können. Das war eine Kampfansage an alle, deren Vorstellung von Arbeitsmarktpolitik die Schaffung von Vollzeitarbeitsplätzen in einer nur teilweise noch vorhandenen Industriegesellschaft war. Ein innovativer Ansatz also, der allerdings dilettantisch umgesetzt wurde. Die wichtigste Lehre aus der Anfangszeit lautete: Not macht aus Arbeitswilligen noch keine Unternehmer. Von den rund 268.000 Menschen, die von Januar 2003 bis Ende 2004 eine Ich-AG gegründet hatten, gab fast ein Fünftel vor dem Ende der dreijährigen staatlichen Förderung wieder auf.

Diese Entwicklung war vorhersehbar, denn den Schritt in eine unsichere Zukunft wagten viele völlig unvorbereitet. Die Bundesanstalt, später in Bundesagentur umbenannt, vergab die Fördergelder auf Treu und Glauben, ohne je eine Marktanalyse oder gar ein Unternehmenskonzept gesehen zu haben. Ihre Mitarbeiter gingen dazu – wie die Betroffenen selbst – der These auf den Leim, in Deutschland gäbe es einen fast unersättlichen Markt für kostengünstige Dienstleistungen. Spät, zu spät, bemerkten manche Nutznießer, dass es existenzbedrohte Grafikdesigner fast an jeder Ecke gibt und nicht überall genügend Hunde für Ausführdienste.

In der Politik gab es darüber hinaus Stimmen, die einen „Mitnahmeeffekt“ ausmachen wollten. Fachleute der Zunft, die diesen Effekt teilweise aus eigener Erfahrung kannten, sagten voraus, dass manche Arbeitslose den Zuschuss nur „abstauben“ würden, um finanzielle Nachteile durch die geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 auszugleichen.

Rechtzeitig im September 2004 wurde diese Systemlücke korrigiert. Seitdem schreibt die Bundesagentur für Arbeit einen „Businessplan“ als Fördervoraussetzung vor. Auf wenigstens sechs Seiten, so wird empfohlen, sollen sich die potenziellen Gründer mit ihrer Zukunft befassen. Erst im Januar 2005 wurde allerdings die Notwendigkeit verankert, diesen Plan auch von einer fachkundigen Stelle überprüfen zu lassen. Die gewünschte Wirkung stellte sich indes nur unzureichend ein: „Fast die Hälfte der arbeitslosen Gründer kann nicht hinreichend erklären, warum das eigene Produkt besser sein soll als das Angebot der Konkurrenz. Dies sind denkbar schlechte Voraussetzungen für den Start“, erklärte der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), Martin Wansleben, im Herbst des vergangenen Jahres.

Trotzdem gründeten bis November 2005 fast 356.000 Menschen eine Ich-AG. Kurioserweise spielten fortan die inhaltlichen Schwächen und die inzwischen ausufernden Kosten des Konzepts kaum noch eine Rolle. Weil jede noch so kleine Lokalzeitung irgendeinen erfolgreichen Ich-AGler aus ihrer Region fand und vorstellte, war der Begriff plötzlich positiv besetzt.

Die Gescheiterten wurden allerdings selten befragt. Eine Untersuchung in Nordrhein-Westfalen ergab aber, dass trotz Unterstützung nur jeder Vierte von der Ich-AG leben kann. Die stehen meist vor einem enormen Schuldenberg und konnten bislang nur eines erfüllen: die Bereinigung der Arbeitslosenstatistik.

Dass die jüngste Untersuchung des IAB vielen Ich-Aktionären dennoch eine goldene Zukunft voraussagt, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Die Studie weist nach, dass es sowohl für Ich-AGs als auch für Empfänger von Überbrückungsgeld nach Beginn der Förderung deutlich geringer wahrscheinlich ist, wieder arbeitslos zu werden. Allerdings wird das Ergebnis dadurch verzerrt, dass die Ich-AG-Gründer nach 16 Monaten noch Förderung erhalten, während die Überbrückungsgeld-Gründer zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Monate aus eigener Kraft selbstständig sind. Zudem liegen für das Überbrückungsgeld auch für längere Zeiträume (bis zu 42 Monate nach der Gründung) Ergebnisse vor, die das gute Abschneiden bestätigen. Da die Ich-AG erst vor gut drei Jahren eingeführt wurde, sind ähnlich fundierte Untersuchungen bei ihr noch nicht möglich. Deshalb warnt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bereits vor übereilten Neuerungen: Bei einer möglichen Zusammenlegung von Ich-AG und Überbrückungsgeld bestünde die Gefahr, dass ein langfristig erfolgreiches Instrument – das Überbrückungsgeld – mit einem Instrument zusammengelegt wird, dessen langfristige Effekte noch unbestimmt sind. „Insofern bedarf es einer sehr gründlichen Abwägung der Vor- und Nachteile einer Neugestaltung“, betont das DIW.