Spree versalzt Senat die Suppe

Hohe Sulfatwerte werden bald das Trinkwasser gefährden, sagen Umweltschützer. Berlin hat ein Doppelproblem: Das Grundwasser ist hoch belastet, die Spree trägt Sulfat aus Kohlerevieren heran

VON ULRICH SCHULTE

Mit der hervorragenden Qualität des Berliner Trinkwassers brüsten sich die Wasserbetriebe immer wieder gerne. Doch Naturschützer fürchten, dass es mit derlei Werbung bald vorbei sein wird. Die Sulfatbelastung könnte in den nächsten Jahren die erlaubten Grenzwerte übersteigen, so die Grüne Liga gestern. „Es ist fraglich, ob der Trinkwasser-Grenzwert von 240 Milligramm pro Liter in allen Teilen Berlins eingehalten werden kann“, sagte Michael Bender von der Bundeskontaktstelle Wasser. Schuld daran sei der Braunkohletagebau in der Lausitz, der die Spree mit großen Mengen dieser Stoffe belaste, zu denen zum Beispiel Gips oder Glaubersalz gehören.

Ein wichtiger Grund für dieses Szenario ist ausgerechnet die Renaturierung, sprich die Flutung, alter Tagebaue. Um Braunkohle abbaggern zu können, musste auf riesigen Flächen mit Pumpen der Grundwasserspiegel gesenkt werden. Sind die Pumpen gestoppt, fließt wieder Wasser in diesen Absenkungstrichter. Ludwig Luckner vom Dresdner Grundwasserforschungszentrum sagt voraus, dass dann 300.000 Tonnen Sulfat ausgeschwemmt werden. Am Ende des Reviers läge die Belastung der Spree bei 500 Milligramm pro Liter.

Die Grüne Liga nimmt auch den Energiekonzern Vattenfall ins Visier, der fünf Bergbaue betreibt. „Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler die Folgen beseitigt, während Vattenfall Milliardenprofite macht“, sagt Bender. Erst der Tagebau bringt die chemische Reaktion in Gang, aus der Sulfat entsteht: Durch die Grundwassersenkung kommt Sauerstoff an Eisensulfite im Boden, Schwefelsäure entsteht – die wiederum zu Sulfaten reagiert. Die Reinigungsanlagen des Konzerns bringen zwar den pH-Wert des Abwassers in Ordnung und filtern Eisen heraus, die Sulfate aber sind Vattenfall egal. Weil sie kaum zu entfernen sind, aber auch, weil das Ignorieren behördlich abgesegnet ist. In den wasserrechtlichen Bestimmungen kommen Grenzwerte für Sulfate überhaupt nicht vor.

Ist nun tatsächlich das Berliner Trinkwasser in Gefahr? 70 Prozent des Bedarfs stammt als Uferfiltrat aus der Spree, der Rest ist Grundwasser. Außerdem steckt die Hauptstadt in einer Sulfatzange: Einerseits trägt die Spree das Zeug heran, andererseits ist das Grundwasser hoch belastet. Das liegt an dem Trümmerschutt aus dem Zweiten Weltkrieg, der unter der ganzen Stadt liegt. Unter dicht bebauten Innenstadtgebieten messen die Wasserexperten Spitzenwerte von 800 Milligramm je Liter.

„Durch die Kombination von belastetem Grundwasser und Einträgen aus den Kohlerevieren ist die Situation in Berlin schon besonders“, sagt der Leiter der Wasserwirtschaft in der Umweltverwaltung, Matthias Rehfeld-Klein. Das Horrorszenario der Naturschützer hält er aber für übertrieben. „Berlin steht gut da, Hektik ist keineswegs angebracht.“ Denn auf dem Weg in die Hauptstadt bleibt viel im Spreewald und anderen Gebieten hängen. Die Sulfatwerte in Spree- und Trinkwasser pendeln deshalb zwischen 180 und 200 Milligramm pro Liter – der Grenzwert wird also locker unterboten. „Mit dem Spreewasser verdünnen wir derzeit sogar das Grundwasser“, so Rehfeld-Klein.

Naturschützer und Politiker fordern, Vattenfall in die Pflicht zu nehmen: „Der Konzern muss zur Verantwortung gezogen werden“, sagt Bender von der Grünen Liga. Carolin Steinmetzer, die umweltpolitische Sprecherin der brandenburgischen Linkspartei-Fraktion, meint: „Alle Verantwortlichen müssen sich an künftigen Kosten beteiligen.“ Zudem sollten verbindliche Grenzwerte für die Einleitung von Sulfaten durch Tagebaue festgeschrieben werden. Mit einer kleinen Anfrage will sie ihre Landesregierung auf Trab bringen – auch, weil ihr das Problem nahe liegt. Das Kohlerevier beginnt ein paar Kilometer vor ihrem Bürgerbüro in Finsterwalde.