Zwischen Delle und globaler Krise

Was sind die wirtschaftlichen Folgen einer möglichen Vogelgrippe-Pandemie? Kaufen die Leute weniger ein, oder gehen sie nur seltener aus? Was wird das kosten? Wirtschaftsforscher rechnen viel und müssen dennoch bei konkreten Prognosen passen

VON BEATE WILLMS

Die Vogelgrippe ist keine Gefahr für die Konjunktur in Deutschland – nicht solange sie eine Tierseuche bleibt. Das ist die klarste Aussage, die die Ökonomenzunft derzeit zu treffen bereit ist. Was passiert, wenn das Virus mutiert und eine Pandemie unter Menschen auslöst, scheint dagegen Kaffeesatzleserei. Die Prognosen reichen von „vorübergehender Delle“ bis zu einem Einbruch des weltweiten Wirtschaftswachstums um bis zu 5 Prozentpunkte, also globale Rezession

Das Problem: Es gibt keine belastbaren Aussagen darüber, ob es tatsächlich zu einer Mutation kommt, ob diese dann zu einer Grippewelle führt, wie stark sie sich ausbreitet. „Wir arbeiten mit sehr sehr groben Einschätzungen“, sagt Boris Augurzky, Gesundheitsexperte am Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsforschungsinstitut in Essen.

So liege die Wahrscheinlichkeit, dass es während der aktuellen Vogelgrippe zu einer Pandemie kommt „bei 3 bis 4 Prozent, vielleicht aber auch unter 1 Prozent“. Dann sei die Frage, wie diese verlaufe: Als mögliche Maßstäbe nenne Augurzky die Spanische Grippe von 1917, an der weltweit bis zu 70 Millionen Menschen starben, die Asiatische Grippe von 1957/58 mit rund einer Million Toten und die Hongkong-Grippe, die 1968/69 bis zu zwei Millionen Menschen das Leben kostete.

Die direkten Kosten wie Arbeitsausfälle wegen Erkrankungen, Behandlungskosten und „der Verlust von Humankapital“, wie Augurzky die Todesfälle nennt, sind dann relativ einfach zu berechnen: Das RWI kommt für „einen leichten bis mittelschweren Ausbruch“ in Deutschland mit 50.000 bis 150.000 Toten, dreimal so viel Krankenhausfällen, einer Million Arztkonsultationen sowie drei bis fünf Tagen Arbeitsausfall für die Infizierten auf 25 bis 75 Milliarden Euro.

Was das aber wiederum für die Gesamtwirtschaft heißt, hält Augurzky schon für schwerer berechenbar: Schließlich seien etwa die Ausgaben für die Behandlungen zugleich auch Einnahmen innerhalb des Gesundheitssystems oder bei den Pharmafirmen. Noch komplizierter wird es mit indirekten Auswirkungen wie dem Ausfall von Beschäftigten, die zu Hause bleiben, um Kranke zu pflegen oder weil sie Ansteckung fürchten. Kaufen die Menschen weniger, oder gehen sie nur seltener ins Kino? Gibt es Ausfälle in Liefer- und Produktionsketten, die aufgrund der weltweiten Verzahnung der Unternehmen Dominoeffekte auslösen?

Die Globalisierung hat die Welt hier so verändert, dass ein Vergleich mit früheren Pandemien schwer fällt. Augurzky: „Wir gehen deshalb immer von den Extremverläufen aus, damit man für jeden Fall die Chance hat, sich zu schützen.“