Die Fantasie von zehn

THEATER „Theater heute“ hat sie zur zweitbesten Nachwuchsregisseurin des Jahres gewählt. Am Donnerstag hat Brit Bartkowiaks „Yellow Line“ Premiere am Deutschen Theater

VON BARBARA BEHRENDT

Fragt man Brit Bartkowiak, welchen Stoff sie auf der großen Bühne des Deutschen Theaters zu zeigen sich erträumt, dann winkt sie ab, als sei dies purer Größenwahn: „Es ist so utopisch, jetzt über die große Bühne nachzudenken – da kann ich doch nicht schon einen Stoff parat haben.“ Einer jungen Regisseurin, die in der kleinen Box des DT erst eine einzige Arbeit für den regulären Spielplan realisiert hat, gibt man im nächsten Jahr sicher noch nicht die Hauptbühne eines Metropolentheaters.

Andererseits geht es für sie gerade zügig voran: Für jene erste Inszenierung wurde die 33-Jährige in der Kritikerumfrage von Theater heute soeben zur zweitbesten Nachwuchsregisseurin des Jahres gewählt. Und in der Box lief der Abend so erfolgreich, dass er nun in die Kammerspiele verlegt wurde. Dort sehen „Muttersprache Mameloschn“ jetzt 230 statt 80 Zuschauer, das Haus ist ausverkauft. Den Test für den Umzug bestand die Uraufführung von Marianna Salzmanns Stück schon bei den Mülheimer Theatertagen; dort wurde es vor 200 Zuschauern gezeigt und gewann den Publikumspreis. In Mülheim werden zwar keine Inszenierungen prämiert, sondern Stücke – die erste Bühnenrealisierung aber ist überlebenswichtig für einen neuen Text. Lang ist die Liste junger, profilierungssüchtiger Regisseure, die ein Stück bei der Uraufführung so zugerichtet haben, dass aus einer Geburt unversehens eine Beerdigung wurde. Die Zwangsehe, in die Regieanfänger und junge Autoren oft gesteckt werden, ist häufig kontraproduktiv.

Zurückhaltend und präzise inszenierte Bartkowiak die Familiengeschichte dreier jüdischer Frauen (Oma, Mutter, Tochter) im 20. Jahrhundert. Die Regisseurin macht durchaus eigene Setzungen, beleuchtet die Figuren psychologisch, vermeidet platten Realismus, entwirft plausible Bilder für innere Vorgänge. Doch sind das immer sachdienliche Hinweise, nicht wichtigtuerische Signale. Nur wenige Regieneulinge ignorieren so souverän den Druck, die Inszenierung mit der „eigenen Handschrift“ überdeutlich stempeln zu müssen.

Bartkowiak, aufgewachsen in einem Dorf bei Gießen, kam mit Theater erst im Studium in Berührung, als sie in Marburg im Kulturamt jobbte. Sie wechselte zu den Theaterwissenschaften in Mainz, dann zum Regiestudium nach Hamburg. Am prägendsten war ihre Arbeit als Assistentin: Sie lernte von Dimiter Gotscheffs kollektivem Arbeitsprozess, von Nicolas Stemanns Umgang mit unterschiedlichen Stilebenen, von der Performativität Tom Kühnels und Jürgen Kuttners und von Stephan Kimmigs Begeisterung für Geschichten, sagt sie. Theater vereint für sie drei wichtige Dinge: „Inhaltliche Auseinandersetzung, ästhetische Suche und das kollektive Erarbeiten von etwas Neuem.“ Ob man einen Text möge oder nicht, sei zunächst nebensächlich, sagt die junge Frau mit dem wachen Blick, man müsse ihn eben erforschen. „Aus ‚Mameloschn‘ kann man keinen performativen Abend machen. ‚Yellow Line‘ dagegen lässt sich einfach nicht psychologisch erzählen.“

„Yellow Line“, das am 12. September in der DT-Box seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt, ist ein Text von Juli Zeh und Charlotte Roos, der im Rahmen des Wanderlust-Programms der Bundeskulturstiftung entstand und in Zagreb uraufgeführt wurde. Obwohl die Figuren „eher Thesenträger als vielschichtige Persönlichkeiten“ sind, wie Bartkowiak sagt, ist es doch eine witzige, schrille Abrechnung mit dem allseits gefeierten Freiheits- und Demokratiestreben der Menschen. In seinen parallelen Erzählsträngen und seiner Absurdität ist das Stück nicht leicht zu inszenieren.

Die Regisseurin geht es an, wie sie ihre Arbeiten immer angeht: Sie brainstormt mit ihrem Team über Wochen, fest dabei ihr Bühnenbildner Nikolaus Frinke, Carolin Schogs für die Kostüme und DT-Dramaturg Ulrich Beck. Frinke und Beck loben den „offenen Prozess“, die „Gespräche auf Augenhöhe“. Bartkowiak sei „ein absoluter Teamplayer“, auch im Umgang mit den Schauspielern. Und sie holt die Autorinnen ins Boot. Mit Marianna Salzmann hat sie sich kontinuierlich ausgetauscht, Charlotte Roos und Juli Zeh hat sie mehrmals zur Probe eingeladen. Ihr Credo: „Die Fantasie eines Einzelnen mag brillant sein, aber die Fantasie von zehn Leuten ist zehnmal größer.“ Wenn sich eines Tages herausstellen sollte, Theater bedeute, „Leute anzubrüllen, Machtspielchen zu spielen und ein Arschloch zu sein“ – dann müsse sie eben ganz schnell aufhören damit.