Über das übliche Maß hinaus

NEUKÖLLN Im Januar wurden zwei Frauen in einer Bäckerei erschossen. Morgen soll das Urteil fallen

Es täte ihm sehr leid, bekundete Mehmet Ö. vor dem Berliner Landgericht. Nachdem am Dienstag die Plädoyers gehalten worden waren, erhielt der 45-Jährige das letzte Wort, bevor am morgigen Donnerstag das Urteil über ihn gesprochen werden soll. „Ich bin eigentlich nicht so ein Mensch für solche Taten“, sagte der bisher nicht vorbestrafte Friseurmeister. Trotzdem hatte er am 16. Januar in der Neuköllner Flughafenstraße die beiden Inhaberinnen des neu eröffneten Börekhauses erschossen.

Mit einer der beiden Schwestern, der 33-jährigen Nura H., war er vier Jahre lang liiert. Im September 2011 hatte die Frau die Beziehung beendet. Die gelernte Bäckerin soll es leid gewesen sein, den Arbeitslosen durchzufüttern, der sich obendrein ziemlich eifersüchtig gab. Ein monatelanges Stalking begann.

Vor dem Familiengericht bemühte sich Nura H. um eine einstweilige Verfügung gegen ihren Exfreund, ungerührt wiesen die Richter ihren Antrag ab. Sie meinten, die angezeigten Angriffe würden nicht „über das übliche Maß hinausgehen“. Zwar erhielt Mehmet Ö. im August 2012 vom Amtsgericht Tiergarten ein schriftliches Urteil wegen versuchter Nötigung über 600 Euro, doch seine Anwälte legten Einspruch ein. Drei Wochen nach dem Tod von Nura H. hätte darüber verhandelt werden sollen.

Gestern nun sprach sich die Staatsanwältin dafür aus, Ö. wegen Doppelmordes zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Zwar hat ein Gutachter dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit bescheinigt, weil er zur Tatzeit viel Kokain konsumiert hatte. Dieses Argument ließ die Anklägerin nicht gelten: Ö. habe sich bewusst in diesen Zustand gebracht, „um seinen zuvor gefassten Plan zu verwirklichen“.

Ihrer Ansicht nach betrat Ö. die Bäckerei, erschoss zuerst die 33-jährige Nura H. und dann deren 38-jährige Schwester, die möglicherweise die Tat zu verhindern versucht hatte. Anschließend schoss er seiner am Boden liegenden Exfreundin achtmal in den Kopf.

Dagegen präsentierten die Verteidiger von Ö. dem Gericht eine Version, nach der sich der unter Drogeneinfluss stehende Mann vor einem Kunden der Bäckerei geängstigt und darum seine Pistole gezogen habe. Guylten H. habe ihm diese entwinden wollen, der tödliche Schuss habe sich versehentlich gelöst und sei als fahrlässige Tötung zu werten. Im Affekt habe Ö. dann seine Exfreundin getötet – es handele sich also um einen Totschlag, so die Verteidiger. Morgen wird das Urteil verkündet. UTA EISENHARDT