Ein seltener Vogel

Günter Schickert gehört nicht unbedingt zu den ersten Namen, die einem einfallen, wenn man an Krautrock denkt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit fällt einem der Name sogar überhaupt nicht ein. Das dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass es nicht sonderlich viel Musik von diesem Gitarristen gibt, der eine Weile als Roadie und Tontechniker des Synthesizer-Gurus Klaus Schulze sein Geld verdiente: Schickert ist bis heute als Musiker aktiv, doch zählt seine Diskografie seit den siebziger Jahren gerade einmal eine Handvoll Alben, einige davon erschienen in Kleinstauflage.

„Samtvogel“, Schickerts Plattendebüt von 1974, erschien zunächst im Selbstverlag. Es entstand mit denkbar sparsamen Mitteln: Gitarre, Gesang und Echogerät genügten ihm als Instrumentarium. Diese Beschränkung wusste Schickert aufs Effektivste zu nutzen und seine übersichtlichen Gitarrenlinien durch einander überlagernde Schleifen zu klaustrophobischen Nachtstücken zu verdichten.

Kaum eine Krautrock-Platte beschwört eine ähnlich hermetisch-bedrohliche Stimmung herauf wie „Samtvogel“. „Kriegsmaschinen fahrt zur Hölle“ heißt etwa eine der ausgedehnten Nummern, die kaum Rock-Gesten aufgreifen, sich dafür aber umso stärker an Minimal Music orientieren. An einer psychedelischen Variante von Minimalismus allerdings, die einem Fiebertraum ähnelt, in dem die Außenwelt reichlich verschoben ins Bild rückt und nicht alle Dinge am richtigen Platz scheinen. Der Wille zur monumentalen Wiederholung ist dabei das Krautrock-typischste Element dieses erstaunlichen Alleingangs.

Schickert wird der Berliner Schule zugerechnet, die vor allem durch weitschweifige Synthesizer-Epen gekennzeichnet ist. Dass er selbst keine elektronischen Instrumente im engeren Sinne verwendet hat, soll da nicht weiter stören. Berliner ist er lange genug, und auch die in dieser „Schule“ übliche lange Form zählt zu den Merkmalen seiner Musik. Er bleibt jedoch ein Sonderfall – im positiven Sinne, wohlgemerkt.

Das US-amerikanische Label Important Records, spezialisiert auf erkundungsfreudige Musik aus aller Welt, hat Schickerts Album jetzt zum ersten Mal auf CD veröffentlicht. Knapp 40 Jahre nach Erscheinen ist das „überfällig“ (so der Titel seiner zweiten Platte). Viele Hörer verdient hat „Samtvogel“ allemal, als Beispiel für eine eigenwillig heftige Musik, die weder laut noch verzerrt oder schrill sein muss, um ihre Wirkung zu erzielen.

TIM CASPAR BOEHME

■ Günter Schickert: „Samtvogel“ (Important Records/Cargo)