Ackern im Maschinenraum

Morgen wird zum 152. das Boat Race auf der Themse zwischen Cambridge und Oxford gestartet. Diesmal mit dabei: drei deutsche Ruderer, die die ungewohnte Aufregung um ihren Sport genießen

VON JOHANNES SCHARNBECK

Tausende jubelnde Menschen auf der Putney Bridge in London. Die Hubschrauber der Fernsehsender kreisen über den Booten. Ohrenbetäubender Lärm. Die Ruderer verstehen nicht einmal ihren Steuermann. „Es ist ein Gefühl, als gehe man auf Wasser“, beschreibt Sebastian Schulte die Atmosphäre vor dem Start des traditionsreichen Boat Race zwischen den Achtern der Universitäten Oxford und Cambridge auf der Themse.

Wenn am nächsten Sonntag die Hellblauen von Cambridge zum 152. Mal auf der 6,74 Kilometer langen Strecke gegen die Dunkelblauen von Oxford antreten, wird der Wiesbadener Schulte zum zweiten Mal für Cambridge dabei sein. Nachdem der Oxford-Achter das Rennen im letzten Jahr mit großem Vorsprung für sich entschied, will der 27-jährige Doktorand der Wirtschaftswissenschaften nun unbedingt gewinnen.

Gelingt dies, werden neben ihm noch zwei weitere Deutsche jubeln. Direkt vor Schulte sitzen auf Position drei und vier der Berliner Thorsten Engelmann (24) und Sebastian Thormann (30) aus Wertheim. „Zusammen bilden wir den Maschinenraum des Bootes“, sagt Schulte. Sie sind die kräftigsten Ruderer der Mannschaft, die Tempobolzer. Schulte und Engelmann sitzen seit fünf Jahren auch im Deutschland-Achter. Der englische Teamkollege Kieran West nennt das Trio „die Berliner Mauer“, keiner komme an ihnen vorbei. Angesichts ihrer Größe und Statur – alle messen mehr als 1,90 muskelbepackte Meter – scheint der Vergleich angebracht.

Auch die Wettbüros sind offenbar von der Stärke der Deutschen und dem Rest der Cambridge-Crew überzeugt. Die Buchmacher favorisieren sie mit einer Quote von 1,6:1 für das morgige Rennen. Für einen Sieg von Oxford würde man bei einem Pfund Einsatz dagegen 2,25 Pfund gewinnen. Als Hauptgrund für Cambridges Favoritenstellung wird vor allem die Rückkehr von vier Boat-Race-Teilnehmern aus dem letzten Jahr und somit die größere Erfahrung angeführt. Für Oxford startet nur ein Rückkehrer aus dem siegreichen Team von 2005.

Das Boat Race ist nicht nur das bedeutendste Ereignis im Rudersport, in Großbritannien ist es eine der beliebtesten Sportveranstaltungen des Jahres. Mehr als 250.000 Menschen verfolgen das Rennen an den Ufern der Themse. In den letzten fünf Jahren sahen durchschnittlich mehr als 6 Millionen Fernsehzuschauer den Wettstreit zwischen Oxford und Cambridge. Nur beim Fußball-Pokalfinale, dem Wimbledon-Endspiel und dem Formel-1 Grand Prix von Silverstone schalten mehr Briten ein.

Dementsprechend groß ist das Ansehen der Ruderer. An die größere Aufmerksamkeit musste sich auch Sebastian Schulte erst gewöhnen: „Manchmal sprechen mich wildfremde Leute auf der Straße an und gratulieren mir zu meinen Trainingsleistungen auf dem Ruder-Ergometer. Das ist unglaublich.“ Während der Rudersport in Deutschland höchstens bei Olympischen Spielen beachtet wird, liegt er in Oxford und Cambridge unangefochten an Platz eins der Beliebtheit. Die Crew-Mitglieder sind Stars: „Wenn ich nach einem offiziellen Mannschaftstermin, an dem ich das begehrte – aber hässliche – hellblaue Cambridge-Jacket trage, noch in eine Disko möchte, winken mich die Türsteher geradewegs an der Schlange vorbei“, erzählt Schulte.

Umstellen musste er sich auch beim Trainingsumfang. Nur an Montagen hat er frei. Für die übrige Woche sind täglich zwei Trainingseinheiten angesetzt: morgens zwei Stunden Krafttraining, nachmittags sind die Ruderer vier Stunden auf dem Wasser. „Als ich nach den Olympischen Spielen 2004 nach England kam, wollte ich eigentlich eine ruhige Kugel schieben“, sagt Schulte, „dann sah ich den Trainingsplan und war schockiert. Hier werden Standards gesetzt.“

Zu der minutiösen Vorbereitung auf das große Duell gegen Oxford gehört auch das einwöchige Trainingslager vor dem Rennen auf der Themse. Da der Fluss den Gezeiten ausgesetzt ist und der Wasserpegel im Sechs-Stunden-Rhythmus um fünf Meter fällt und steigt, herrschen in London ganz andere Wasserbedingungen als Ruderer sonst gewöhnt sind. Durch die starke Strömung sind die Boote auch deutlich schneller. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist der kurvige Streckenverlauf. „Wir werden perfekt vorbereitet in das Rennen gehen“, gibt sich Schulte siegesgewiss. Das berauschende Gefühl vom Start an der Putney Bridge will er dieses Mal auch im Ziel in Mortlake genießen.