Fische im schwarzen Loch

Theater fürs Schauspiel: Lisa Nielebock inszeniert mit vier ausgezeichneten Akteuren Roland Schimmelpfennigs Erstlingswerk „Fisch um Fisch“ im klatschnassen Bochumer Theater unter Tage

AUS BOCHUMPETER ORTMANN

Am Anfang steht das Problem von möglichen Möglichkeiten und der vielfältige Weg zu ihrer Nutzung. Dumm, wenn dafür nur untaugliche Werkzeuge zur Verfügung stehen. Irgendwann nach einem Krieg, vielleicht aber auch nicht, versucht ein junger Mann irgendwo an einer zugefrorenen Küste kleine Fische zu fangen, die sich in Massen im Meer tummeln sollen. Dazu will er die Pudelmütze seines Vaters benutzen, der nicht mehr gut sieht und der seine Gattin wohl im Grau des Nebels verloren hat.

Seltsam skurril beginnt Roland Schimmelpfennigs Erstlingswerk „Fisch um Fisch“, das von 1993 stammt und für das er 1997 den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis erhielt. Wundersam geht es weiter, surreal endet es. Es handelt von der Bedeutungslosigkeit der Dinge in einem nicht existenten Raum und von der Unmöglichkeit der Verständigung in einer maritimen Zone, die der von Andrej Tarkowskis „Stalker“ in nichts nachsteht. Das „Zimmer“ ist hier eine klatschnasse Fischerhütte, in der merkwürdige Dinge und Personen auftauchen und verschwinden. „Ich weiß oft nicht, was wichtig“ ist, sagt der alte Mann einmal, als er auch noch seine Schuhe an den glücklos fischenden Sohn verloren hat und auf, sich immer weiter mit Wasser vollsaugenden, Socken, durch den einzigen Raum irrt. Doch wirklich wichtig ist nichts mehr in einer Welt, wo ein Löffel eher wie ein kleines goldenes Ruder aussieht, wo ständig Wasser tropft und in der ein Mann in der Kälte draußen herumläuft, um Tuch aus Amsterdam zu kaufen, Angebot und Nachfrage verlieren in diesem „Zimmer“ schnell ihre Kausalität. Schimmelpfennigs Fische sind Splitter im Gehirn, die sich ihre Realität selbst erschaffen, um sie anschließend wieder zu zertrümmern, in der selbst Stuhl und Tisch der kargen Hütte zum Fischfang benutzt werden wollen.

Dieses sich zeitlupenhaft ausdehnende schwarze Loch inszeniert die junge Regisseurin Lisa Nielebock im Theater unter Tage fürs Bochumer Schauspielhaus. Sie pflanzt damit unter dem Asphalt der Königsallee – auf der, wie jeder weiß, zwar keine Modenschauen stattfinden, aber eines der wichtigsten Stadttheater in Deutschland steht – mindestens einen wunderbaren Sämling für die Rückkehr des reinen Schauspiels dort. Unaufgeregt ruhig lässt sie, in Anwesenheit des zufrieden schauenden Autors, die vier Entitäten von links und rechts durch eine Welt pendeln, die sich dagegen sträubt, eine zu sein. In der Fische immer größer werden, gefährliche Weinflaschen gefunden und wieder verloren werden. Wo der Vater seiner Tochter die langen Haare abschneidet und in der am Schluss ein mannsgroßer sprechender Fisch mit einem Messer in drei Teile geteilt wird, bevor die familiäre Singularität endgültig gescheitert im schwarzen Loch wieder vergeht.

Und so bleibt es bei der Inszenierung eines Theatertextes mit vier überzeugenden Schauspielern, der sich einer schlüssigen Inhaltsanalyse widersetzt, sie allerdings auch nicht nötig hat. Selbst Autor Roland Schimmelpfennig wird für keine Auflösung der Geschichte sorgen können, ihm ist selbst die Frage danach unangenehm. Danke dafür, denn so hält der diffuse Angriff auf die Wahrnehmung auch außerhalb des Theaters weiter an.

Nächster Fischfang im Nichts:10. April 2006, 19:30 UhrInfos: 0234-33335555