„Ein bisschen wie Golf, Skat und Schach“

Poolbillard ist ein beliebter Kneipensport. Doch wenn sich die Profis in Brandenburg zur Europameisterschaft treffen, bleibt das nahezu unbemerkt. In Taiwan hingegen sind die Spieler Stars. Und in den USA winken dicke Prämien

Schon in den frühen Morgenstunden ist die Halle gut gefüllt. 2.500 bis 3.000 Fans wollen ihre Stars anfeuern. Die besten Poolbillard-Profis haben während der Turnierwoche beinahe keine ruhige Minute. Sind sie in der Stadt unterwegs, werden sie ständig von Fans angesprochen, müssen Autogramme schreiben. So etwas können Billardprofis in Taiwan erleben. „Dort ist Poolbillard Sportart Nummer zwei – mindestens“, sagt Oliver Ortmann der Billardprofi mit Wohnsitz Hamburg. Er ist einer der Stars der Szene, einer, mit dessen Namen Sportfans in Taiwan oder auf den Philippinen durchaus etwas anfangen können. In Deutschland kennt Oliver Ortmann kaum jemand.

Dabei ist Ortmann gerade zweifacher Europameister geworden – im Achtball und in der Disziplin 14/1. Das Medienecho ist bescheiden, ebenso das Zuschauerinteresse in Brandenburg an der Havel, wo sich Europas beste Spieler getroffen haben. Erst an den letzten Turniertagen war jeder der etwa 300 Plätze rund um die drei Finaltische besetzt.

„Unser Ziel muss es sein, die zahlreichen Freizeitspieler in die Vereine zu integrieren“, erklärt Helga Blowid. Sie ist Vizepräsidentin der Deutschen Billard Union (DBU) und als Vorstandsmitglied der Billardabteilung der SG Stahl Brandenburg zuständig für die Ausrichtung der Europameisterschaften. Zwei bis drei Millionen Freizeitspieler gebe es in Deutschland, meint sie. Nur 45.000 davon sind organisiert.

Veranstaltungen wie die Europameisterschaft sollen die Billardfreunde aus den Kneipen auf die organisierte Sportszene aufmerksam machen. Den Brandenburgern ist es immerhin gelungen, die Tischsportler, die schon zu DDR-Zeiten im Verein waren, bei der Stange zu halten. „Die mussten das Poolspiel erst einmal kennen lernen“, erzählt Helga Bauwid. Denn in der DDR war das Billardkegeln verbreiteter.

Das wird auf kleinen Tischen gespielt, auf denen fünf Kegel aufgestellt werden, die es durch vom Stoßball angespielte Treibbälle umzuwerfen gilt. In den alten Ländern ist Achtball am populärsten. Hier muss der eine Spieler die Kugeln mit den Nummern 1 bis 7 („die Vollen“), der andere die Kugeln mit den Nummern 9 bis 15 („die Halben“) in einer der sechs Taschen versenken, bevor am Ende die „schwarze Acht“ gelocht werden muss. Beim 14/1 gilt es, alle 15 Kugeln nacheinander in zuvor angesagte Taschen zu spielen.

Neunball ist so etwas wie die Königsdisziplin des Poolbillard. Dabei muss immer die Kugel mit der niedrigsten Nummer angespielt werden. „Das ist für die Zuschauer am spektakulärsten“, erklärt Ortmann, „auch weil der Zufall dabei eine große Rolle spielt.“ Den gilt es eigentlich auszuschalten beim Billard. Ein guter Spieler kann genau einschätzen, wie sich eine Kugel bei bestimmten Temperaturen, bei hoher oder niedriger Luftfeuchtigkeit verhält.

„Billard ist ein bisschen wie Golf, hat etwas von Skat und Schach“, meint Ortmann. Vor einem Stoß steht er manchmal minutenlang am Tisch und grübelt. „Man muss eben die nächsten Stöße vorausplanen“, sagt er. Dafür hat er lange Zeit fünf bis sechs Stunden am Tag trainiert. In den letzten Jahren hat er den Trainingsaufwand etwas reduziert und sich mehr seiner Firma gewidmet. Ortmann vertreibt Billardzubehör.

Jetzt aber hat den 38-Jährigen neuer Ehrgeiz gepackt. In den USA wurde eine neue Turnierserie ausgeschrieben. Die „American 8-Ball Open“ in Las Vegas sind mit 350.000 Dollar üppig dotiert. Ortmann will den Siegerscheck, will in den Staaten noch einmal triumphieren, so wie er es als 22-jähriger Billardjungspund schon einmal getan hat. 1989 gewann er als erster Europäer die „14/1 US Open“ in Chicago und erwarb sich einen bis heute gebräuchlichen Spitznamen: „The Machine“.

In Brandenburg hat Ortmann übrigens nur für die Ehre gespielt. Bei Europameisterschaften gibt es kein Preisgeld.

ANDREAS RÜTTENAUER