BERLINER LUFT
: Blumenkohl, frittiert

Wir finden im Witzeln einen guten Modus des Verarbeitens

Blumenkohl, bestimmt frittiert – tagelang nur dieser Geruch aus der Erdgeschosswohnung direkt unter meiner. Den Dunst fettiger Mahlzeiten war ich von meinem Immer-zu-Hause-Nachbarn gewohnt. Aber diese Gemüsemanie blieb rätselhaft, wo doch sonst nur Butter und Blutiges Gefallen zu finden schien. Jedoch, für Gäste wurde gekocht. Das ist augenblicklich klar. Gäste, ganz in Schwarz, mit Flügeln am Rücken. Die dicken Brummer wussten von Anfang an am meisten und kamen immer häufiger vorbei, ohne auch nur das Geringste zu berichten. Die mit zittriger Hand herbeigerufene Streifenpolizei funkt sofort nach der Gerichtsmedizin. Meine bedrückte Nachfrage quittiert eine Polizistin mit fahrigem Nicken. Nach zwei Wochen Karfiol ist der Ofen aus.

Unbemerkt verstorben, lange nicht entdeckt. Im Haus sind viele entsetzt. Der Mann lebte zurückgezogen, war aber wahrlich nicht alt. Wegen des fauligen Gestanks, der Hof und Wohnung durchdringt, flüchte ich in der Not aus Friedrichshain zu Freunden nach Neukölln und gehe am Abend auf eine Vernissage in der Torstraße, wo es kein Alter gibt, außer vielleicht der Restpatina wilderer Berliner Jahre und ein paar unkonventionelle Vanitas-Motive in der Ausstellung.

Beim Rumstehen mit Wodka tragen wir Horrorgeschichten des Alltags zusammen und finden im Witzeln einen guten Modus des Verarbeitens. Man könne meine Wohnung ja vorerst untervermieten, richtige Berliner Luft inklusive. Oder: endlich alle ausstehenden Pflichteinladungen im Freundes- und Bekanntenkreis aussprechen und die Umstände, sehr beschwichtigend, zum Thema machen. Die oder den wäre man danach bestimmt auch als Facebook-Kontakt los. Eine forsche Geisteswissenschaftlerin der Runde möchte noch am Abend bei mir vorbeigehen, um den Geruch von Toten kennenzulernen. Davor bewahre ich sie und antworte nichts.

NIELS MÜNZBERG