Dialektik des Grauens

WORUM ES GEHT Die Forderung, das Internet müsse im Wahlkampf eine größere Rolle spielen, ist falsch

■ Jahrgang 1969, hat Politikwissenschaften in Marburg und Berlin studiert. Er ist Mitbegründer der linken Wochenzeitung „Jungle World“, arbeitete drei Jahre bei der Netzzeitung und ist seit 2010 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997. Vor der Bundestagswahl 2009 forderte er vehement mehr Online im Wahlkampf.

VON MAIK SÖHLER

Danke, Internet. Hast du gut gemacht, dass CDU-Wahlplakate nun via „Merkel-App“ auch sprechen können. Die Kanzlerin kommt ja dieser Tage viel zu selten zu Wort. Danke, Twitter, dass in TV-Talksendungen zur Wahl nun auch Anmerkungen von digitalen Hobby-Politologen verlesen werden. Wird ja sonst zu wenig angemerkt in diesen Formaten. Danke, Google, dass sich die Parteiprominenz bei dir noch mal so richtig selbst darstellen darf. Sie hat ja sonst keinen Raum dafür.

Online ist im deutschen Wahlkampf 2013 endlich angekommen. Wer ist schuld, dass man Andrea Nahles, Claudia Roth, Rainer Brüderle und Horst Seehofer nicht mehr entkommen kann? Wir selbst. Hohn und Spott haben wir auf Politik und Medien gekübelt, weil der Wahlkampf in Deutschland so konventionell, so unfassbar offline geführt wurde, während in den USA Facebook, Twitter und Youtube so selbstverständlich genutzt wurden wie Radio und Fernsehen. Wir wollten das hier auch.

Die Social-Media-Tussis des ZDF erfüllen nun unsere Wünsche mit einer Härte, die selbst Schwerverbrechern Angst einjagt. Wenn früher in TV-Sendungen die locker eingeworfene Frage „Was sagt man im Netz?“ auftauchte, schaltete man die Glotze aus und ging online, um selbst nachzusehen. Das macht jetzt keinen Spaß mehr, weil dort gerade die Frage „Was sagt man im TV?“ diskutiert wird. Der online-affine Wahlkampf sorgt für eine Dialektik des Grauens ohne Entrinnen und ohne Synthese. Auf allen Kanälen befeuern dieselben Nasen dasselbe Thema mit denselben Argumenten. Die Wahl 2013 ist ein multimedialer Kreisverkehr, in dessen Zentrum ein Merkel-Wahlplakat auf Knopfdruck Phrasen absondert.

Es gäbe vieles im Netz, was es in den Wahlkampf und in die Wahlberichterstattung schaffen sollte, dort aber nicht ankommt. Politische Blogs; Stil- und Ästhetikkritik in Audio- und Videofiles; sogar so mancher Leserkommentar mit 500 Zeichen hat zur Politik mehr zu sagen als Peer Steinbrück in 90 Minuten Kanzlerduell.

Vor allem aber könnten einige im Netz viel beitragen zu einem Thema, das im Wahlkampf so abwesend ist wie sonst nur sozialdemokratische Politik in der SPD: Überwachung und Datenspionage. Es mag am Umfang und an der Komplexität der Überwachung liegen, dass die vielen guten Analysen und Kommentare im Netz fürs Social-Media-TV nicht als häppchenkompatibel erachtet werden. Es mag daran liegen, dass Staat und Politik, die die Spitzelei mitzuverantworten haben, bei den Öffentlich-Rechtlichen mitmischen. Wahrscheinlicher aber ist, dass Fernsehen und Politik begriffen haben, dass Überwachung den meisten Wählern egal ist.

So gesehen sind wir ganz gut bedient mit dem Wahlkampf des Jahres 2013 inklusive Online-Verballhornung und medialem Kreisverkehr. Daraus kann man lernen und dort, wo wieder die Forderung nach mehr „Internet“ im Wahlkampf laut wird, widersprechen: Nein, wollen wir nicht. Es braucht für 2017 keine digitale Innovation der Union („Von-der-Leyen-App zur Erfassung von Augenbewegungen“), keine Kooperation von Apple und SPD beim Fingerabdruckscanner, um auch via Smartphone wählen zu können, keine Datenbrille mit liberalem Antlitz, kein „echtes soziales Netzwerk“ der Linken und keinen grünen „Bewegungssensor“.

Mehr Online im Wahlkampf war mal eine gute Idee. Viel Gutes ist dabei nicht rausgekommen. Das Niveau ist eher nach unten als nach oben offen. Weniger kann auch mehr sein. An bunten Luftballons erfreuen sich wenigstens die Kinder.