Neuer Lack für eine rostende Idee

STIL „Welt“-Redakteur Ulf Poschardt definiert für die FDP Freiheitlichkeit als existenzielles Wissen

DÜSSELDORF taz | Wie jedes Jahr bat die Friedrich-Naumann-Stiftung auch im Wahljahr einen prominenten Zeitgenossen um eine „Rede zur Freiheit“. 180 Gäste fanden am Mittwochabend den Weg ins Düsseldorfer Museum Kunstpalast. Ulf Poschardt trug vor, der Vize-Chefredakteur der Welt-Gruppe.

In dieser Funktion betreibt Poschardt seit einigen Jahren kostenlose Politikberatung für die FDP, die er für das „junge Bürgertum“ wiedergewinnen möchte. Wenn Philipp Rösler den Bild-Chef Kai Diekmann allzu innig umarmt, rügt Poschardt den FDP-Chef für mangelndes Stilbewusstsein. Stil, weiß der 46-Jährige, ist für das junge Bürgertum eine Frage der Freiheitlichkeit.

Diese Freiheitlichkeit, erläuterte er am Mittwoch, lasse sich nicht mehr im Begriff der Freiheit fassen, sondern lediglich als „existenzielle“ Praxis. Verantwortlich dafür sei einerseits die Sprachskepsis der Moderne, andererseits eine neue kulturelle Praxis zwischen Hackerspaces und Popkultur, die die alten Liberalen nicht deuten könnten.

Diesen Jargon findet man schon in Ausgaben der Spex aus den 1980ern, in denen das „existenzielle“ Bescheidwissen – Plattenhören oder in Clubs gehen – gegen die Theorieexegese einer ominösen Altlinken ausgespielt wurde. Nur dass bei Poschardt dieses Wissen nicht länger einen Abschied vom Bürgertum markiert, sondern seine Erneuerung: „Der Rebell ist die Avantgarde des Liberalen.“ Und Pop ist der Ruf nach Freiheit, der von den sozialen Rändern herkommt: Lara Croft und Carrie Bradshaw („Sex and the City“) verkörpern die Emanzipation der Frauen, Immobilienmillionär und Rapper Jay-Z die der Afroamerikaner.

Wobei diese Version von Pop-Geschichte selbstverständlich eine ideologische ist. Denn die politischen Erfolge von Schwulen, Afroamerikanern oder Frauen waren in der Regel nicht das Werk großer Einzelner, sondern kollektiv geführter Kämpfe.

Genau dies aber entgeht Poschardt. So sehr er gegen eine FDP-Rhetorik argumentiert, die den Liberalismus des 19. Jahrhunderts recycelt, so sehr bleibt er selbst der Polarisierung zwischen Individuum und Kollektiv verhaftet, wobei das Individuum die privilegierte Position innehat. Für Gerechtigkeit ist demnach nicht eine kollektive Institution zuständig, sondern der benevolente Einzelne. Menschen wie der Rennfahrer Ayrton Senna zum Beispiel, ein „privilegierter Bürgersohn“, der per Spenden „weniger privilegierten“ Kinder half. Die – bekannte – Idee: Spenden statt Sozialstaat. Oder um es in der am Mittwoch bevorzugten Autofahrer-Rhetorik auszudrücken: Dem vor sich hin rostenden politischen Liberalismus spendierte Poschardt lediglich eine neue Lackierung – aber keinen neuen Motor.

CHRISTIAN WERTHSCHULTE