Rassige Provokationen

In einem ausgesprochen hart geführten Duell um Platz zwei in der Bundesliga, bei dem die Unparteiischen bisweilen überfordert wirken, gewinnt der Hamburger SV mit 2:0 bei Schalke 04

„Das haben wir überhaupt nicht nötig in unserem Fußball“

AUF SCHALKE DANIEL THEWELEIT

Es hatte so schön angefangen in der Gelsenkirchener Arena. Schnelle Kombinationen, Dribblings, riskante Pässe und Lattenschüsse waren zu sehen gewesen in der Partie zwischen Schalke 04 und dem HSV. Das Stadion vibrierte, doch mit einem Schlag verwandelte sich ein wunderbarer Fußballnachmittag in ein Duell der Hässlichkeiten. Rafinhas rote Karte nach einer halben Stunde raubte dem Spiel seine Freude. Der Hamburger SV gewann zwar mit 2:0, doch selbst Hamburgs siegreicher Trainer Thomas Doll war später enttäuscht. Er ärgerte sich über die „unnötige Hektik und die vielen Nickligkeiten auf beiden Seiten“: „Es hat keinen Spaß gemacht, da zuzuschauen. Das waren Provokationen, die nur den Zweck hatten, den Gegner irgendwie zu schwächen, das haben wir überhaupt nicht nötig in unserem Fußball.“

Nach der Partie der Schalker bei den Bayern war es bereits das zweite Spitzenspiel innerhalb von zwei Wochen, das irgendwie aus den Fugen geriet. In jedem Zweikampf drohte Unfairness, die Schiedsrichter waren überfordert. Zwar fand Mirko Slomka euphemistische Vokabeln wie „rassig“ und „sehr kribbelig“, doch fußballerisch wurde dieser Kampf um die Champions-League-Qualifikation nach einer halben Stunde zu einer großen Enttäuschung.

Rafinha hatte Rafael van der Vaart ins Gesicht gegriffen, als dieser nach einer Freistoßentscheidung den Ball festhielt. Es war keine richtig schlimme Aktion, aber eine Fehlentscheidung war die rote Karte auch nicht. „Nach dieser Situation ging es nur noch darum, wer kriegt die nächste gelbe Karte? Was macht der Schiedsrichter?“, fasste Schalkes Sportdirektor Andreas Müller die wenig erbauliche Darbietung zusammen, die folgte. Thimothee Atouba sah nur Gelb, als er Fabian Ernst seinen Ellenbogen ins Gesicht schlug, weshalb sich Schalke vollends ungerecht behandelt fühlte. Und zu zehnt gegen elf Hamburger fehlte nach dem Donnerstagsspiel in Sofia irgendwann die Substanz. Ein abgefälschter Freistoß van der Vaarts (57.) und ein Tor des eingewechselten Ex-Schalkers Ailton (80.) entschieden die Partie.

Sportdirektor Andreas Müller schrieb die direkte Champions-League-Qualifikation nach dieser Niederlage ab, hofft aber noch, „Werder Bremen von Platz drei verdrängen“ zu können. In drei Wochen spielen die Schalker an der Weser. Vor der Saison hatte Geschäftsführer Peter Peters Platz 4 als „Worst-Case-Szenario“ bezeichnet, was die große Wut auf Schiedsrichter Helmut Fleischer verständlich macht. „Es gab auf beiden Seiten enge Situationen, in denen man auch etwas mehr pro Schalke, etwas mehr contra HSV hätte entscheiden können. Vielleicht wäre der Schiedsrichter auch ohne rote Karte ausgekommen, sowohl bei der Szene mit Rafinha als auch bei der Szene mit Atouba“, meinte Slomka. Möglicherweise mangelte es den Entscheidungen des Unparteiischen tatsächlich an Ausgewogenheit, jede Szene für sich konnte man aber durchaus so bewerten, wie es Fleischer und seine Assistenten taten.

Die beste Reaktion auf das aus den Fugen geratene Spiel fand noch Hamburgs Trainer Thomas Doll. Er versuchte, seine Mannschaft in der Halbzeit „mit einem Appell an die Coolness herunterzufahren“, und forderte die Spieler auf, „den Ball wieder laufen zu lassen, klaren Kopf zu behalten, einfach über das eine oder andere hinwegzusehen“. Das ist gelungen, und deshalb können sie jetzt immer lauter von der Champions League sprechen in Hamburg. „Ja, jetzt wollen wir natürlich Zweiter bleiben, dafür werden wir alles tun“, erklärte Doll nach diesem Sieg der Hamburger Gelassenheit über die Schalker Hysterie.

Besonders heftig trifft diese Niederlage den Schalker Trainer Mirko Slomka, der noch einmal sagte, er habe den Auftrag, „mehr zu erreichen“ als der wegen Erfolglosigkeit entlassene Ralf Rangnick. Der war im vergangenen Jahr immerhin Zweiter geworden. Einer guten Serie in Slomkas ersten Wochen als Cheftrainer folgten nun eine Niederlage in München, ein 2:2 gegen Wolfsburg und dieses 0:2 gegen den HSV – die erste Heimniederlage der Saison. Es sind die kommenden Wochen, die zeigen müssen, ob Slomka tatsächlich zum Trainer einer Mannschaft taugt, die Meisterschaften und Europapokale gewinnen möchte. Der Uefa-Cup-Sieg wirkt nach dieser Partie fast realistischer als ein erneutes Erreichen der Champions League.