Kreative treffen Kaufkraft

STEGLITZ-ZEHLENDORF Die Ladenstraße im denkmalgeschützten U-Bahnhof Onkel Toms Hütte hat ihre besten Tage längst hinter sich. Aber das muss nicht so bleiben: Junge Neuköllner Designer sollen den Hipness-Faktor steigern

■ Gebiet: Der Bezirk im Südwesten Berlins hat eine Gesamtfläche von 102,50 Quadratkilometern. Viele Wohngegenden der sieben Ortsteile Steglitz, Lankwitz, Lichterfelde, Zehlendorf, Dahlem, Nikolassee und Wannsee gelten als gehoben oder wohlhabend.

■ Geschichte: Bei der Schaffung von Groß-Berlin im Jahr 1920 entstanden die Verwaltungsbezirke Steglitz und Zehlendorf aus mehreren Landgemeinden. Steglitz war zu diesem Zeitpunkt das „größte Dorf Preußens“, weil es nie Stadtrecht erlangt hatte. Bei der Bezirksreform von 2001 fusionierten Steglitz und Zehlendorf.

■ Bevölkerung: Der Bezirk hat rund 280.000 Einwohner. Der Ausländeranteil liegt bei 11,6 Prozent, das Durchschnittsalter bei 46,1 Jahren. Damit ist Steglitz-Zehlendorf der Berliner Bezirk mit den ältesten Einwohnern. (Zum Vergleich: In Friedrichshain-Kreuzberg, dem „jüngsten“ Bezirk, beträgt das Durchschnittsalter 37,3 Jahre.) Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,1 Prozent.

■ Wohnen: MieterInnen im Südwesten zahlen durchschnittlich 9,75 Euro netto kalt pro Quadratmeter. Damit liegt Steglitz-Zehlendorf zusammen mit Mitte gleich hinter dem teuersten Berliner Bezirk, Charlottenburg-Wilmersdorf (10 Euro). (gs)

VON GESA STEEGER

Wer im Zehlendorfer Bahnhof Onkel Toms Hütte aus der U3 steigt, hat die brausende Großstadt weit hinter sich gelassen. Statt rammelvoller Bahnsteige erwarten einen hier Ruhe und Gelassenheit. In der kleinen Ladenstraße, die sich durch den in den 1920er Jahren errichteten U-Bahnhof zieht, werben schlichte Leuchtschilder für Elektrohaushaltsgeräte und elegante Herrenhaarschnitte. Das Publikum läuft gemächlich und scheint gemeinsam mit dem U-Bahnhof gealtert zu sein. Zehlendorf, ein abgeblättertes Kleinstadtidyll?

Nicht wenn es nach Heide Wohlers geht. Die drahtige Dame ist der Kopf des Unternehmens „aha – büro für zukunftsfähige entwicklung und kommunikation“ und Projektleiterin der Initiative Zukunftskiez Onkel Toms Hütte. Auf Betreiben des Bezirksamts und ausgerüstet mit EU-Fördermitteln, versucht Wohlers gemeinsam mit engagierten Anwohnern und Gewerbetreibenden die Ladenstraße aufzumöbeln. „Diese Einkaufszeile ist der Mittelpunkt des Kiezes“, erklärt die Projektmanagerin. „Wenn wir es schaffen, diese Straße wiederzubeleben, profitiert die gesamte Nachbarschaft davon.“ Hauptquartier der Initiative ist die kleine Bruno-Taut-Galerie, das kulturelle Herzstück der Ladenstraße.

Hier sitzt Heide Wohlers zwischen abstrakten Gemälden und Bücherstapeln und erläutert ihre Pläne. „Wir brauchen einen frischen Wind“, sagt sie energisch und deutet mit spitzem Finger auf die Kleinstadtszenerie vor ihrem Fenster. Wenn es nach der 59-Jährigen geht, sieht die Zukunft der Ladenstraße glänzend aus. Innovativ, kreativ, einzigartig. Dass die Ladenstraße tatsächlich das Zeug zur Größe hat, verrät ein Blick in ihre Geschichte.

Entworfen von dem Reformarchitekten, dessen Namen sie trägt, und von 1926 bis 1932 erbaut, sorgte die Bruno-Taut-Siedlung für Aufsehen. „Papageiensiedlung“ wurde und wird sie von den Zehlendorfern wegen ihrer farbigen Fassaden genannt. Die Ladenstraße war als Zentrum der modernen Sozialsiedlung geplant und blieb das jahrzehntelang. Erst als die Discounterwelle einsetzte, wurden kleine Fachgeschäfte unattraktiv. Die Ladenstraße verlor ihre Stammkundschaft und ihren Glanz. Bis jetzt.

„Einmal Avant- garde, immer Avantgarde“

PROJEKTMANAGERIN HEIDE WOHLERS

„Einmal Avantgarde, immer Avantgarde“, meint Wohlers trocken und schwärmt vom Potenzial dieses Ortes. Auf dem Platz vor dem Eingang sei bereits ein Wochenmarkt in Planung, erzählt sie. Außerdem solle eine Ladengemeinschaft für regionale Lebensmittel entstehen sowie ein Fahrrad- und Mobilitätsladen, in dem Touristen und Anwohner sich Fahrräder ausleihen könnten. „Unser Ziel ist eine allgemeine Verjüngung“, sagt Wohlers, „in Bezug auf unser Angebot, aber auch auf die Kundschaft.“

Damit die jungen Menschen wirklich kommen, hat Wohlers sich Unterstützung von außerhalb gesucht: Seit Ende August bespielen junge Neuköllner Kreative einen verlassenen Drogeriemarkt im U-Bahnhof. Chardia Budiman, Sprecherin des temporären Designladens namens Berliner Stücke, führt durch den Raum im Stil eines White Cube. In weißen Regalen türmen sich Hüte, Keramik, selbst gezeichnete Comics und hochwertige Designermode. Was Ende August als einmonatiges Experiment startete, sei jetzt schon ein voller Erfolg, schwärmt Budiman und erzählt, dass sie über eine Projektverlängerung bis Ende des Jahres nachdenke. Die Nachbarn seien nett, die Verkaufszahlen gut, die Kunden begeistert. „Wir haben hier gemeinsam etwas Schönes geschaffen“, findet Budiman. „Die Idee ist einfach“, sagt Heide Wohlers: „Die jungen Designer haben kreatives Potenzial. Wir haben die Kaufkraft. Wenn man das zusammenbringt, profitieren beide Seiten.“

Aber schon gibt es neue Konkurrenz in der Umgebung. An der Dahlemer Clayallee wird noch im September die Truman Plaza eröffnet, ein Luxusneubauprojekt mit Biosupermarkt. Für Wohlers kein Problem: „Wir müssen es nur schaffen, die Ladenstraße langfristig als Standort für hochwertige, ausgefallene Produkte zu etablieren.“ Wenn das gelänge, wäre das große Berlin nicht mehr ganz so fern.