DIE KURDISCHEN AUFSTÄNDE IN DER TÜRKEI WERDEN WEITERGEHEN
: Kulturkampf und Neoliberalismus

Nach einer Woche blutiger Auseinandersetzungen in den kurdisch bewohnten Teilen der Türkei und in Istanbul wird jetzt erste Bilanz gezogen. Eine Erkenntnis ist: Auch sieben Jahre nach der Verhaftung des PKK-Gründers Abdullah Öcalan ist in den kurdischen Gebiete noch keine nachhaltige Normalisierung eingetreten. Das hat verschiedene Ursachen. Zwar haben die türkischen Regierungen einen Reformprozess eingeleitet, der die Anerkennung bestimmter Minderheitenrechte beinhaltet, doch die kleinen Schritte stehen in keinem Verhältnis zu den Erwartungen vieler Kurden. Das ist in der Sprachenfrage besonders anschaulich: Während die Regierung Kurdisch im Privatunterricht gestattet, erwarten kurdische Politiker, dass es als zweite Amtssprache der Republik eingeführt wird.

Zu diesen weit auseinander klaffenden Vorstellungen über kulturelle und politische Rechte kommen zwei weitere schwer zu lösende Probleme. Das erste ist die PKK. Solange die verbliebenen 4.000 bis 5.000 Militanten der PKK ohne Perspektive in den Bergen des Nordirak hocken, können sie zwar keinen Krieg gegen die türkische Armee gewinnen, aber eine friedliche Entwicklung können sie verhindern. Das haben sie in den letzten Monaten deutlich gezeigt, und daran wird sich auch nichts ändern, weil weder die USA noch die irakischen Kurden militärisch gegen die PKK vorgehen werden. Die türkische Regierung müsste ihnen eine weitgehende Amnestie anbieten, doch so weit ist sie offenbar noch nicht.

Bleibt das am schwierigsten zu bewältigende Problem, die Armut und Unterentwicklung im Osten der Türkei. Sicher ist der Hauptgrund für den jetzigen Aufstand die miserable soziale Lage, vor allem die der Jugendlichen. Die neoliberale Politik, die Premier Erdogan in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds betreibt, hat die Misere eher verschärft als gelindert. Dazu kommt der Irakkrieg, der etliche Geschäftsleute, die vom Handel mit dem Nachbarland gelebt haben, in die Pleite getrieben hat. Schnelle Lösungen sind da nicht zu erwarten, die nächsten Zusammenstöße sind absehbar. JÜRGEN
GOTTSCHLICH