Die Kleinen bilden ein starkes Rückgrat

BAUERN Der meisten landwirtschaftlichen Betriebe weltweit beackern nur wenige Hektar. Sie sorgen für Versorgungssicherheit sowie Biodiversität und wirtschaften nachhaltig. Die unsichtbaren Akteure werden unterschätzt – und brauchen Unterstützung

■ Es gibt weltweit 525 Millionen landwirtschaftliche Betriebe. 85 Prozent davon bewirtschaften weniger als zwei Hektar, aber erzeugen drei Viertel der globalen Nahrungsmittel.

■ Auf der Hälfte der weltweiten Ackerfläche werden nur vier Pflanzen kultiviert: Weizen, Mais, Soja und Reis. Außer beim Reis landen diese Kulturpflanzen bei Weitem nicht nur auf dem Teller, sondern landen in Viehmägen, Tanks oder werden für andere, industrielle Zwecke verwendet.

■ Die Menschen in den Megastädten im Süden werden heute schon bis zu 20 Prozent mit Produkten aus kleinteiligem Urban Farming und Gardening versorgt.

■ Fazit: Die Versorgungssicherheit lastet mitnichten auf den Schultern der Agrarindustrie. DJ

VON DIERK JENSEN

Die Familie Arancheril bewirtschaftet an den Hängen der Cardamom Hills im indischen Bundesstaat Kerala ein Stückchen Land. Es liegt direkt hinter ihrem Wohnhaus. Es mutet wie ein Wald an: Schlank hochgewachsene Betelnusspalmen, kurzstämmige Muskat- und Kakaobäume sowie Bananenstauden und andere Gehölze stehen auf der etwa 2,5 Hektar großen Fläche. Kardamom, Ingwer und Zwiebeln wachsen am Boden, Vanille gedeiht und Pfeffer rankt an den Betelnüssen. Ein Garten Eden, von dem die südindische Familie lebt. Zum einen dient die eigene Fläche zur Selbstversorgung, zum anderen werden Pfeffer, Vanille und Muskat auf den Märkten und an Händler verkauft.

Die Arancherils bewirtschaften einen Typus Betrieb, der gemeinhin als kleinbäuerlich bezeichnet wird. Dieser Typus stellt den überwältigenden Anteil der weltweit über 500 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe dar.

Wenngleich sich die Subsistenzwirtschaft der statistischen Erfassung weitestgehend entzieht, wagt der geschäftsführende Direktor der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegung (IFOAM), Markus Arbenz, eine Einschätzung, die die ganze Tragweite von Kleinbauern vor Augen führt. „Rund 85 Prozent aller Betriebe weltweit verfügen über weniger als zwei Hektar, sie erzeugen aber Dreiviertel der weltweit benötigen Nahrungsmittel.“

Dabei ist der Terminus Kleinbauern, wie sollte es anders sein, nur schwer zu definieren. Er variiert von Region zu Region. Sicher ist nur, dass kleinbäuerliche Systeme wesentlich weniger anfälliger sind als hochgezüchtete industrialisierte Agrarkomplexe. „Da wo kleinbäuerliche Strukturen intakt sind, das bestätigen auch viele UN-Reports, weisen eine in dem jeweiligen Naturraum entwickelte und angepasste Wirtschaftsweise auf, die eine höhere Biodiversität mit sich bringt. Die Vielfalt schafft Nährwert und erhöht Einkommenschancen“, unterstreicht Agnes Bergmeister. Sie ist Mitarbeiterin des Öko-Anbauverbandes Naturland und leitet die Kampagne „Öko + Fair ernährt mehr!“, die Naturland gemeinsam mit dem Weltladen-Dachverband e. V. organisiert.

Naturland zählt inzwischen 53.000 Erzeuger, die in allen Regionen der Welt wirtschaften – davon rund 2.600 Landwirte in Deutschland. Die Kritik der konventionellen Agrarlobby, dass mit ökologischem Landbau die Welternährung nicht zu sichern sei, entgegnet Bergmeister: „Die landwirtschaftliche Produktion weltweit reicht laut der Welternährungsorganisation FAO zur Zeit für zwölf Milliarden Menschen, derzeit leben sieben Milliarden auf der Erde, wovon eine Milliarde hungert. Das zeigt, dass die Menge der Produktion nicht die allein entscheidende Frage ist, sondern Preise, gerechter Handel, Verteilung, weniger Nahrungsmittelverluste und -verschwendung wie auch mehr regionale Erzeugung, dort wo sie gebraucht wird, einen großen Einfluss auf die Versorgungssicherheit haben.“ Alles Aspekte, die auf der Fachtagung „Auf die Kleinen kommt es an!“ in Berlin am 27. September intensiv diskutiert werden und den Schlusspunkt der Kampagne setzen soll. Bergmeister ist es dabei sehr wichtig, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass „in kleinbäuerlichen, ökologischen Wirtschaftsweisen und im ländlichen Raum insgesamt große Chancen für die Zukunft liegen“.

Die Konzentration der Flächen in immer weniger Händen wird zum Problem

Dennoch schreitet die Industrialisierung der Landwirtschaft weltweit voran. Die Konzentration der Flächen in immer weniger Händen ist in vielen Regionen ein hochbrisantes Thema. Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der Flucht in die Stadt. Überdies entdecken ausländische Investoren die Agrarwirtschaft als lukratives Betätigungsfeld und kaufen sich massiv in Agrarprojekte in Ländern des Südens ein. Das stellt die sozialen Strukturen oftmals auf den Kopf, weil diese Projekte auf internationale Märkte fixiert sind und kaum regionale Wertschöpfungsketten einbeziehen. „Wenn die Kleinbauern auf dem Rückmarsch sind, dann brechen oft die lokalen Lebensgrundlagen weg, was sich negativ auf die Versorgungssicherheit der Bevölkerung auswirkt“, weiß Ulrich Jasper. Der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die sich in Deutschland als Stimme der bäuerlichen Familienbetriebe begreift, sieht in diesem Zusammenhang auch die europäische Agrarpolitik in der Verantwortung. „Die zukünftige Bundesregierung hat es im Zuge der neuen EU-Agrarreform in der Hand, ob sie die kleineren Betriebe stärker unterstützen will oder nicht“, betont Jasper. Er plädiert für eine Hektarobergrenze bei Transferzahlungen und für eine höhere Vergütungen für Bauern, die kleine Flächen bewirtschaften.

Dabei geht es Jasper und anderer Experten nicht um das krampfhafte Festhalten an jedem einzelnen Betrieb, sondern um die Weiterentwicklung dezentraler Konzepte, die der kulturellen Erosion auf dem Land etwas Vitales entgegensetzen können. Für Jasper ist die wachsende Popularität des Urban Gardening letztlich auch ein Ausdruck dafür, dass gerade junge Leute wieder einen Bezug zur Landwirtschaft haben möchten.

Dass das Kleinbäuerliche bei Weitem kein Beharren gestrigen Daseins ist, unterstreicht Markus Arbenz: „Auch ein ökologischer Kleinbauer kann moderne Techniken anwenden, seinen Anbau nachhaltig intensivieren und am Ende höhere Erträge erwirtschaften.“