Tote bei Busanschlag

Die Auseinandersetzungen zwischen radikalen Kurden und türkischen Sicherheitskräften verlagern sich nach Istanbul

ISTANBUL taz ■ Die vor einer Woche begonnenen Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Nationalisten, Armee und Polizei in der Türkei fordern immer neue Opfer. Gestern Morgen starben im Krankenhaus im kurdischen Diyarbakir zwei Menschen, die bei den Straßenschlachten der letzten Woche verletzt worden waren. Damit erhöht sich die Zahl der Toten auf fünfzehn.

Während es am Wochenende im kurdisch bewohnten Südosten vergleichsweise ruhig war, eröffneten Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK am Sonntag in Istanbul einen neuen Schauplatz der Auseinandersetzungen. Bereits in der Nacht von Samstag auf Sonntag war im historischen Teil der Stadt in Fatih in einem Müllcontainer an der Endstation einer Buslinie eine Bombe explodiert, die einen Mann tötete und dreizehn Personen verletzte. Zu dem Anschlag bekannte sich die Terrororganisation „Kurdische Freiheitsfalken“, die im letzten Sommer bereits durch Anschläge in Touristenorten von sich reden gemacht hatten.

Am Sonntag lieferten sich dann PKK-Anhänger auf dem zentralen Istanbuler Taksimplatz eine Schlacht mit der Polizei, bei der die eine Seite Knüppel und Tränengas und die andere Seite Molotowcocktails einsetzte. Zum bisher schwersten Zwischenfall kam es am späten Sonntagabend. PKK-Anhänger warfen im Istanbuler Vorort Bahcilar Molotowcocktails auf einen Linienbus, der völlig ausbrannte. Dabei starben drei Frauen.

In Diyarbakir, wo der Aufstand im Anschluss an eine Beerdigung von vier PKK-Kämpfern vor einer Woche begonnen hat, findet seit gestern das juristische Nachspiel statt. Rund 500 Menschen waren im Laufe der drei Tage, in denen in Diyarbakir praktisch Ausnahmezustand herrschte, festgenommen worden. Rund 170 wurden nach ein oder zwei Tagen Haft wieder entlassen, gegen die anderen 330, darunter 90 minderjährige Jugendliche und Kinder, wurde eine Untersuchungshaft verhängt.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Sonntag in einer Rede angekündigt, dass die Sicherheitskräfte gegen weitere illegale Demonstrationen mit aller Härte vorgehen würden. Eltern in Diyarbakir und anderen überwiegend kurdischen Städten rief er dazu auf, ihre Kinder nicht „von der PKK missbrauchen zu lassen“.

Ahmet Türk, einer der beiden Vorsitzenden der legalen kurdischen Partei „Demokratische Gesellschaft“ (DTP), rief am Sonntag in einem Interview in CNN-Türk zur Ruhe auf. „Ich bitte alle unsere Leute, an keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen mehr teilzunehmen. Gewalt führt nur zu mehr Gewalt.“ Er sagte, der Aufstand in den kurdischen Gebieten sei das Ergebnis von zunehmenden politischen, sozialen und ökonomischen Problemen. „Die Leute haben keine Bildung, keine medizinische Versorgung, keine Aussicht auf einen Job und sie sind hungrig. Wie sollen wir diese Massen kontrollieren?“

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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