Heile Welt gibt’s nirgends

KRITIK Ein Film dokumentiert Missstände im fairen Handel. Über solche Ausnahmen hinaus wirft das Grundsatzfragen auf

Am Anfang standen politische Motive im Mittelpunkt, heute ist es eher der Handel

VON DIERK JENSEN

Wieso gibt es Zertifikate im Fairen Handel? Und wieso gibt es Kontrollen? Ganz einfach: Weil es einerseits Regeln und Standards gibt und andererseits immer wieder Akteure, die diese nicht einhalten und trotzdem vom gerechten Handel profitieren wollen. Ist das Leben doch kein immerwährender Ponyhof. Schon gar nicht in den meisten Ländern des Südens, wo es oft nur ums nackte Überleben geht. Insofern mutet es schon etwas merkwürdig an, welche Verunsicherung der Film „Fairer Handel auf dem Prüfstand“, ausgestrahlt Anfang August auf Arte, ausgelöst hat. Der französische Filmemacher Donatien Lemaître zeigt anhand von zwei Beispielen, dass auch der faire Handel nicht in einer heilen Welt stattfindet, nicht mehr und nicht weniger. Diskriminierung von Frauen, Rassismus und Ausbeutung machen im Zweifelsfalle auch vor Plantagen nicht Halt, auf denen Produkte erwirtschaftet werden, die am Ende der Handelskette ein Fair-Trade-Logo tragen. Das ist scharf zu verurteilen – keine Frage. Um so löblicher, dass ein unabhängiger Filmemacher sich des Themas annimmt. Wer daraus nun den Schluss zieht, dass der faire Handel in toto nichts taugt, der macht es sich nicht nur zu einfach, sondern liegt de facto auch falsch.

Dennoch wirft der Film mehrere interessante Fragen auf, mit denen sich die Akteure dieser Branche auseinandersetzen müssen, um auch in Zukunft im weiter wachsenden Markt glaubwürdig zu bleiben. Denn aus der Nische ist längst ein großes Geschäft geworden, bei dem Millionen verdient werden. Fairer Handel ist zumindest in der westlichen Welt im Mainstream der Konsumenten angekommen. Aber wie geht der faire Handel mit Aldi, Rewe, Carrefour oder anderen Giganten um? Kann man mit diesen Konzernen, die große Teile ihres Sortiments von normalen, schlimmstenfalls „unfairen“ Quellen beziehen, überhaupt glaubhaft fairen Handel treiben? „Der Lebensmittelhandel ist im Interesse unserer Handelspartner im Süden zu einer unverzichtbaren Absatzchance geworden“, rückt Thomas Speck, Geschäftsführer Vertrieb bei der Fairhandels-Gesellschaft Gepa zurecht. „Für uns stellt sich also die Frage nicht, ob wir mit Supermärkten handeln, sondern wie wir das tun. Wir lassen uns dabei nicht verbiegen, scheuen uns nicht, Missstände in Wirtschaft, Politik und in internationalen Handelsregeln und -praktiken zu kritisieren“, fügt Speck trotzig hinzu. Deswegen will Gepa neue Akzente setzen, bei denen hiesige, regionale Rohstoffe mit welchen aus dem Süden zu einem fairen Eine-Welt-Produkt zusammenwachsen.

Das klingt gut. Ob das etwas am generellen Geschäftsgebaren der Lebensmittel- und Handelskonzerne ändert, sei dahingestellt. Genau an dieser Stelle warnt der französische Autor Christían Jacquíau vor einer Verwässerung der ursprünglichen Idee des fairen Handels. „Am Anfang standen die politischen Motive im Mittelpunkt, heute ist es eher der Handel mit Fairness“, sagt Jacquíau im Film „Fairer Handel auf dem Prüfstand“. Diese Aussage trifft auch den Nerv von Thomas Speck. „Uns reicht es nicht, wenn Unternehmen einzelne Fairtrade-Produkte in ihr Sortiment aufnehmen. Bei der Vergabe des Siegels sollte stärker berücksichtigt werden, ob sich der Konzern um eine insgesamt nachhaltigere Unternehmenspolitik bemüht. Auf der einen Seite einen geringen Prozentsatz von gesiegelten Produkten verkaufen, anderseits ruinöse Preispolitik bei Lebensmitteln betreiben, die auf Kosten von Menschen im Süden geht: Das passt nicht zusammen.“

Diese skeptische Position teilen viele in der Fairtrade-Bewegung. Doch ist ein Marktanteil von vielleicht bald fünf Prozent – einer Marge, von der man zumindest in Deutschland noch weit entfernt ist – ohne die Distributionswege der großen Ketten kaum vorstellbar. Nicht nur deswegen sieht Dieter Overath, Geschäftsführer von Transfair e. V., der Siegel für fair gehandelte Produkte vergibt, die Entwicklung pragmatisch-optimistisch. „Wir machen aus Lidl zwar keinen Dritte-Welt-Laden, aber wir bereiten auch für den Discounter keine Extrawurst zu, da gibt es keine Kompromisse“, unterstreicht Overath. Daher zeige er sich dialogorientiert und sieht die Siegelvergabe als ein wichtiges Instrument, um Unternehmen von „A nach B zu bringen“.

Kein Zweifel, die Dritte-Welt-Gemütlichkeit und vermeintliche kleinteilige Überschaubarkeit früherer Tage schwindet. Wer daran festhalte, sei einer falschen Sozialromantik verhaftet, so Overath, zumal die Öffnung des fairen Handels für den konventionellen Handel in den vergangenen Jahren wichtige Impulse gegeben hat: monetäre, soziale, interkulturelle auf der Erzeugerseite und auf jeden Fall ein kritischeres Bewusstsein beim Konsumenten, ob es sich nun um Kaffee, Bananen, Rosen oder Tee handelt.

Daher wird es in Zukunft sehr darauf ankommen, wie es den treibenden Kräften im fairen Handel gelingt, im Mainstream angekommen, nicht dem Greenwashing zu erliegen und den eigenen Ideen treu zu bleiben. Auf dem Prüfstand steht sicherlich auch das Zertifizierungssystem, das in einer wachsenden Branche vor der großen Herausforderung steht, diejenigen rechtzeitig auszuspähen, die an dem Erfolgsmodell wirtschaftlich partizipieren wollen, aber dessen ethische Grundsätze stillschweigend ignorieren.