Wenn der Kopf zu platzen droht

Hippen empfiehlt Im Kino 46 werden bei dem bundesweiten Festival „Ausnahme / zustand – Verrückt nach Leben“ Filme über Jugendliche in psychischen Grenzsituationen gezeigt

„Nacht vor Augen“ ist ein einfühlsames und komplexes Psychodrama über einen heimkehrenden Soldaten aus Afghanistan

Von Wilfried Hippen

Manchmal scheinen Filme aktuelle Themen zu kommentieren, obwohl sie schon Jahre vor den gerade das öffentliche Bewusstsein beherrschenden Vorkommnissen gedreht wurden. Nun war der Bundeswehreinsatz in Afghanistan auch 2008 schon ein großes und kontrovers diskutiertes Thema, aber dass dabei auch die Leben der Soldaten verändert und im schlimmsten Fall ausgelöscht werden, wird erst jetzt deutlich. Vor zwei Jahren drehte Brigitte Maria Bertele mit „Nacht vor Augen“ ein einfühlsames und komplexes Psychodrama, dessen Protagonist ein 25-jähriger Soldat ist, der bei seinem Einsatz in Afghanistan Dinge erlebte, die ihn an den Rand einer psychischen Erkrankung treiben.

Erzählt wird von seiner Heimkehr in die ordentlichen Verhältnisse seines Familienlebens. Die Verlobte hat auf ihn gewartet, die Freunde und Verwandten feiern herzlich sein Willkommen und so scheint äußerlich alles gut für ihn zu laufen. Aber das Trauma nagt an ihm, keiner der so bequem im Frieden Lebenden kann verstehen, wie es in ihm aussieht, und wenn er sich gegen alle von der Bundeswehr verordneten Therapieangebote sträubt, ist auch dies schon ein Symptom seines schweren Traumas.

Die Filmemacherin arbeitet in ihrem Debütfilm viel mit dem Kontrast zwischen dem „zivilisierten“ Leben im deutschen, kleinbürgerlichen Frieden und dem Krieg, den der Heimkehrer noch weiter in sich trägt. Die Krankengeschichte wird dabei in eine spannende Erzählung verpackt, die aber nie in die bekannten Wege einer konventionellem Filmdramaturgie führt. So steht am Ende nicht der durchaus in der Geschichte angelegte tragische Schluss sondern der Kranke erkennt seinen Zustand und macht damit einen wichtigen Schritt zur Heilung.

Mit diesem therapeutischen Ansatz passt „Nacht vor Augen“ ideal in die Reihe von Filmen, die unter dem Titel „Ausnahme / Zustand – Verrückt nach Leben“ als ein bundesweites Filmfestival durch die Kommunal- und Programmkinos des Landes zieht. Das Projekt machte inzwischen schon in über achtzig Städten Station. Die acht Filme des Programms werden jeweils von einem örtlichen Paten vorgestellt, der für eine fachliche Einordnung sorgt. Bei „Nacht vor Augen“ ist dies Fahim Sobat vom, „Netzwerk Zukunftsgestaltung und seelische Gesundheit“.

Eröffnet wird das Festival heute Morgen um 10 Uhr im Haus am Park mit dem Film „Übergeschnappt“. Diese holländische Komödie (!) über ein kleines Mädchen, das mit seiner depressiven Mutter zusammenlebt, wird leider nur zu dieser fürs Kino eigentlich ungeeigneten Zeit gespielt, alle anderen Filme des Programms laufen aber auch abends im Kino 46.

Die Bandbreite reicht dabei von den Dokumentationen „Lebenszeichen“, in der von jungen Frauen und Mädchen erzählt wird, die sich mit Rasierklingen, Messern oder Scherben selbst verletzten und „Emoticons“, in der Kinder sich im Internet über ihre Probleme wie Mobbing, Missbrauch oder die Trauer um Angehörige austauschen, bis zu dem Kurzfilmprogramm „Und plötzlich war alles anders...“ In dem Dokumentarfilm „Recovery“ des Schweizers Dieter Gränicher erzählen vier Frauen und Männer von ihrer Rekonvaleszenz nach schweren psychischen Krankheiten.

Der Film „Warchild“ handelt schließlich von einer schon fast märchenhaften Heilung, denn diese Dokumentation von Christian Karim Chrobog erzählt von dem im Süd-Sudan geborenen Emmanuel Jal, der als Siebenjähriger in einem Trainingscamp in Äthiopien zum Kindersoldaten ausgebildet wurde, nach seiner Flucht aber zu einem international erfolgreichen Rap-Musiker wurde.