Küchenkriege

RUSSLAND Vier Familien aus Sankt Petersburg müssen ihrer Gemeinschaftswohnung unbedingt entfliehen

VON BARBARA OERTEL

Eine Errungenschaft des Sowjetkommunismus war sie bestimmt nicht – die Gemeinschaftswohnung oder Kommunalka, wie die Russen diese Form des erzwungenen Zusammenlebens auf engstem Raum nennen. Mehrere Familien, deren Privatleben sich in einem Zimmer abspielte, teilten sich eine Wohnung. Oft endete ein Streit um die Benutzung der Küche nach handgreiflichen Auseinandersetzungen vor Gericht.

Die Kommunalka war auch eine Folge des Mangels an Wohnraum in der UdSSR. Daran hat sich bis heute, fast 20 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, für viele kaum etwas geändert – auch wenn die glitzernden Nobelboulevards in den russischen Großstädten auf den ersten Blick etwas anderes vermuten lassen.

Von einer Kommunalka in Sankt Petersburg erzählt auch der Dokumentarfilm „pereSTROIKA – umbAU einer Wohnung“ von Christiane Büchner. Hier leben vier Familien, die alles andere als gute nachbarschaftliche Beziehungen unterhalten. Eine der Parteien, eine junge Frau, will ihr Zimmer verkaufen – angesichts der explodierenden Wohnungspreise in Sankt Petersburg ein scheinbar lohnendes Geschäft. Doch aus dem Alleingang wird nichts. Schließlich möchten potenzielle Interessenten eine ganze Wohnung kaufen und dabei nicht auch noch lästige Altbewohner mit erwerben.

Folglich lautet die Devise: Entweder alle verkaufen und ziehen aus oder keiner. Und damit beginnt das eigentliche Problem. Denn dem Zwang, wieder als Kollektiv handeln zu müssen, stehen persönliche Interessen der Beteiligten gegenüber. Diese sind bei allen gleich: das Maximum an Geld herausholen und die eigene Situation verbessern.

Überlebenskampf ganz nah

Der Film begleitet die Bewohner auf ihrer abenteuerlichen Suche nach neuen Unterkünften. Und nicht nur sie. Auch das Treiben einer Maklerfirma, die mit der Abwicklung des Kommunalka-Verkaufs beauftragt ist, wird aus nächster Nähe betrachtet.

Dabei sind authentische, ja fast schon intime Einblicke in die Lebenswelt der Protagonisten entstanden, Nahaufnahmen von ihrem Überlebenskampf, ihrer Nöte und Zwänge. Und der Betrachter bekommt einen umfassenden Eindruck davon, was es heißt, in einem Land zu leben, in dem der Kapitalismus nach ganz eigenen Gesetzen funktioniert.

Nach über sechs Monaten haben alle Kommunalka-Bewohner endlich eine neue Bleibe gefunden. Von der angestrebten Verbesserung kann allerdings keine Rede sein.

Valeri, der in Tschetschenien gekämpft hat, steht in seinem neuen Zuhause ein „neuer Krieg“ bevor, wie er sagt. Denn die Wohnungsnachbarn, eine dreiköpfige Familie, die auf 9 Quadratmetern lebt, neidet ihm, seiner Frau und den Kindern die dreimal so große Wohnfläche. Etwas ratlos blickt er in die Kamera. Wie sagt eine Bewohnerin der alten Kommunalka am Filmanfang: „Man will doch einfach nur Mensch bleiben.“ Leicht ist das nicht.

„pereSTROIKA“; Doku (D 2009), WDR, 23.15 Uhr