Braten und kassieren für sechs Euro vierzig

Vor allem Frauen ackern zum Niedriglohn – viele von ihnen haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II

BERLIN taz ■ Manchmal könnte Susanne Köhler* sauer werden. Wenn sie den ganzen Abend für sechs Euro netto die Stunde am Zapfhahn steht und dann hört, was die Politiker so reden über den Niedriglohn. Dass es so was in Deutschland gar nicht gebe, weil doch jeder zur Arbeitsagentur rennen und etwas aufstockendes Arbeitslosengeld beantragen könne, wenn er zu wenig verdiene. „Trifft für mich doch gar nicht zu“, sagt Köhler, „ich krieg vom Amt keinen Cent.“

Die 37-jährige allein erziehende Mutter eines Sohnes ackert in Vollzeit in einer Kneipe in Bremen, zapft Bier, schlichtet auch mal Streit. „Im Job ist man immer irgendwie Psychologe“, schildert sie. 7,30 Euro brutto die Stunde bekommt sie für den Schichtdienst. 1.100 Euro brutto sind das im Monat, davon bleiben 900 Euro netto übrig. Eine Bezahlung nach Tarif. Als allein erziehende Mutter eines Sohnes hätte Köhler eigentlich Anspruch auf aufstockendes Arbeitslosengeld II. Aber nur rein rechnerisch.

Auf dem Jobmarkt gehört sie nämlich zu den hunderttausenden Beschäftigten, die wenig verdienen und von den Arbeitsagenturen trotzdem nichts bekommen. Köhler lebt mit einem Mitbewohner im gleichen, noch nicht abbezahlten Haus. In den Augen der Behörden gilt dies als Lebensgemeinschaft. Damit hat die energische Alleinerziehende keinen Anspruch mehr auf ergänzende Gelder. „Ich habe nur meinen Lohn und sonst gar nichts “, sagt Köhler, die ihren wirklichen Namen nicht gedruckt sehen will.

Überproportional viele Frauen ackern in Deutschland zum Niedriglohn, hat das Institut Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen errechnet (siehe Kasten). Aufgrund einer Partnerschaft haben viele dieser Frauen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Nur so lässt sich erklären, dass im Handel und im Gaststättenbereich nach wie vor Hunderttausende zu Löhnen von fünf, sechs Euro brutto arbeiten. Die Politik redet dabei gerne von Frauen, die „nur was dazuverdienen“. Dass damit suggeriert wird, diese Arbeit sei besonders wenig wert, wird gerne unterschlagen. Und Frauen, die einen existenzsichernden Vollzeitjob suchen, haben es in diesen Branchen schwer.

„Viele Frauen, viele Migranten“, so umreißt Thorsten Zierdt das Personal im Niedriglohnsektor. Er leitet das Regionalbüro der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Bremen. Schräg gegenüber liegt eine McDonald’s-Filiale. 6,44 Euro brutto die Stunde verdienen die Burgerbrater und Tresenkräfte. Das ist Tarif. Die meisten der McDonald’s-Beschäftigten schuften in Teilzeit. „Ohne fremde Hilfe kann man aber mit diesen Löhnen nicht überleben“, so Zierdt. „Ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro brutto würde für die Leute einige ihrer Probleme lösen.“

900.000 Erwerbstätige in Deutschland erhalten aufstockendes Arbeitslosengeld II, weil das Jobeinkommen nicht reicht. Schon mit 7,20 Euro brutto die Stunde im Westen hat ein allein stehender Vollzeitbeschäftigter Anspruch auf ergänzende Hilfe. Ist ein Kind vorhanden, besteht auch bei höherem Stundenlohn noch eine Berechtigung. Doch viele Erwerbstätige empfinden es als Demütigung, einen Antrag auf aufstockendes Arbeitslosengeld II zu stellen. Und wenn der Partner verdient, hat ein Antrag auch keinen Sinn.

Köhler erzählt: „Ich habe einige Gäste, die nicht arbeiten, die kommen am Monatsanfang und hauen das Geld vom Arbeitsamt auf den Kopf. Da frag ich mich, ob ich ein Idiot bin, weil ich hinterm Tresen stehe.“

BARBARA DRIBBUSCH

*Name geändert