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Erst müssen wir alles lesen. Dann heißt es: „Schreib mal was drüber.“ Drei persönliche Buchbesprechungen

Journalist zu sein ist bisweilen gefährlich. Freunde und Bekannte erzählen gern selbst erlebte Dramen und Skandale. Diese gehören unbedingt an die Öffentlichkeit gezerrt. Intensiv wird es, wenn Freunde oder Bekannte von fernen Bekannten ein Buch verfasst haben: „Schreib doch mal was drüber!“ Dann muss man das Opus lesen. Die Balance finden zwischen wohlwollender Kritik und dem Verschweigen möglicher Peinlichkeiten. Lostexten und sich danach zerreißen lassen: „Wie konntest du nur? Also schwer vermintes Terrain. Hier sind drei aktuelle Gehversuche in der Todeszone:

Lieber Kurt Schröter,

du hast ein überaus mutiges Buch geschrieben, zumal unter Klarnamen. Du hattest lange mit dir gerungen, ob das jemand tun sollte, der als Psychotherapeut mitten in der Öffentlichkeit steht. Vor gut vier Jahren hattest du plötzlich Prostatakrebs, mit gerade 46 Jahren. Du schilderst schonungslos deinen Schock, deine Scham, die schnelle Radikal-OP, all deine Ängste, die Unsicherheit der Freunde, die Arroganz der Ärzte („Das war eine schöne Operation“) und vor allem die Folgen für dich: Inkontinenz und Impotenz. Eben noch gesund – jetzt brauchst du Windeln. Eben noch sexuell in Blüte, plötzlich geht nichts mehr. Und du könntest weinen beim Anblick eines Zweijährigen mit dickem Pimmelchen am Strand. „Sofort denke ich: Siehst du, selbst so ein kleiner Junge bekommt einen steifen Penis, und du schaffst das nicht mehr.“ Du schreibst manchmal etwas sehr im Therapeutendeutsch, was manchen vielleicht abschreckt, und fast schon aufdringlich persönlich. Aber dies Buch ist deine Geschichte. Und dazu gehört dein Stil. Und du hast Glück gehabt: Die Diagnose nach ein paar Wochen hätte dein Todesurteil sein können. Nach vier Jahren scheint der Krebs besiegt. Du bist wieder trocken, und nach grotesken (und detailliert beschriebenen) Selbstversuchen zur Erektions-Erzwingung klappt es jetzt wieder einigermaßen. Feiglinge werden das Buch schnell zur Seite legen, lieber alles verdrängen. Denn dieses Tagebuch eines tief im Innern Schockierten macht Angst. Puh – nächste Woche muss ich unbedingt den Urologen anrufen, Vorsorgetermin. Ist wieder mal Zeit.

Lieber Freddy Derwahl,

Sie haben einen grenzkomischen Roman verfasst, der in der Groteske Ostbelgien spielt. In jenem Zwischenland, wo man offiziell Deutsch redet, aber belgischer fühlt als sonst wo in diesem wunderbar seltsamen Stück Welt. Da ist die Gegend rund um Eupen, wo Menschen bis zu sieben mal in 80 Jahren ihre Staatsbürgerschaft gewechselt haben – zwischen Preußen, Belgien, verschiedenen Deutschlands, durch Heirat oder unfreiwilliges Beutebelgierdasein. Heute lebt hier (so Derwahl) „die bravste Minderheit der Welt“. Dieser „Schelmenroman mit historischem Hintergrund“ ist manchmal adjektivisch gigantomanös bis bombastisch sprachverknauseliert geschrieben, aber doch kraftvoll und bizarr. Geschildert wird, vermutlich mit reichlich autobiografischen Einsprengseln, die Nachkriegsgeschichte des anarchischen Studenten und späteren Politiker-Chauffeurs Albert Bosch. Er ist auf der Suche nach Heimat und Ausbruch gleichzeitig, nach „dem irren Duft der Freiheit“ in diesem engen Land voller Korruption und Spießigkeit. Bosch gerät schon wegen seines Namens zwischen alle Fronten. Die französischsprachigen Wallonen gleich nebenan halten ihn für einen boche, das Schimpfwort für einen Deutschen. Schrille Figuren begleiten sein Leben, wie der jüdische Kommunist Horst Rosenstein, geflüchtet in ein Land, das weit mehr Juden Unterschlupf bot als Holland mit seiner berühmten Anne Frank. „Dass ein Typ wie Rosenstein mitten in Eupen ein Lokal führte, gehört zu den Kuriositäten, wie man sie nur in Grenzstädten antrifft. Alle hierher verschlagenen Heere waren bloß vorübergehende Sieger, sie hinterließen nicht nur Wunden sondern auch Originale. Rosenstein war ein Sonderexemplar dieser Spezies gestrandeter Vaterlandslosigkeit.“ Mit diesem Roman mit Liebesgeschichte versteht man Belgien etwas besser.

Lieber Manni Breuckmann,

bei der Erstpräsentation deiner Jugendbiografie neulich in Düsseldorf hast du ja glatt versagt. Du hast das Kapitel über deine erste WDR-Reportage gelesen, mit 20 die Regionalligapartie Wattenscheid gegen den VfR Neuß, wie du beim 2:0 live das halbe Ruhrgebiet zusammengebrüllt hast. Aber wer das 1:0 geschossen hat – da musstest du passen. Einfach vergessen. Schämen! Du hattest ausdrücklich gewarnt: Das sei kein Fußballbuch, sondern eines über deine Kindheit und Jugend in Datteln, über bigotte Pfarrer, Mutproben, über Onkel August, Nachbarinnen und deinen Vater, den Postbeamten. Vor allem über dich, die kleinbürgerliche Herkunft, deine Karriere als Messdiener, als gleichsam unbegabten Rocksänger und Frauenhelden. Alles zusammen ein feines Sittengemälde der 1950er und 1960er Jahre im Ruhrpott. Schön geschrieben, luftig, süffig, ironisch. Drei Dinge stören allerdings. Du sagst, das Buch sei in weiten Teilen autobiografisch. Also ist manches der Fantasie entsprungen – aber was verschweigst du? Dann diese Flut von Sexanspielungen. Selten hat ein Jugendlicher so viele Spontanerektionen gehabt wie unser Radioidol Manni. Das nervt. Dass du statt von der Aachener Soers von der Sörs schreibst (wo du bei einem Rockkonzert 1971 das nächste misslungene Liebes-Abenteuer hattest). Und dass du Mireille Mathieu (mit der du wohl nichts hattest) ein zweites t in den Nachnamen schmuggeltest, quasi als Spattz von Paris. Aber das schieben wir mal dem dösigen Lektor zu. Übrigens, weiß vielleicht ein Leser, wer Wattenscheids 1:0 am 7. Mai 1972 erzielte? BERND MÜLLENDER

1) Kurt Schröter: Mann, was nun? (Pabst Verlag)2) Freddy Derwahl: Bosch in Belgien (Grenzecho-Verlag)3) Manni Breuckmann:Mein Leben als jugendlicher Draufgänger (Eichborn Verlag)