Mit Grünem nur gedroht

Schwarz-Grün in Baden-Württemberg? Nein, die Union bleibt beim üblichen Alliierten. Der politische Trend zur neobürgerlichen Koalition ist dennoch nicht aufzuhalten – es fehlt allein am Mut zum Risiko

VON JAN FEDDERSEN

Die offiziellen Erklärungen waren noch nicht verlautbart worden, da teilte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Winfried Kretschmann mit, weitere Gespräche mit der Union um eine schwarz-grüne Koalition im Stuttgart Landtag seien nicht sinnvoll. Der Politiker, seit es die Grünen gibt, um deren bürgerliche Reputation bemüht, reagierte mit diesem Statement lediglich auf gezielt gestreute Indiskretionen seines Unionskollegen Stefan Mappus in der Stuttgarter Zeitung, in denen es hieß, es gebe in seiner Partei genügend Leute, die sich mit einer konservativ-ökologischen Allianz nicht anfreunden könnten.

Das war deutlich genug – ehe Ministerpräsident Günther Oettinger höchstselbst kundgeben konnte, man bleibe mit den Liberalen auch die kommenden Jahre liiert. Der grüne Frust ob der Absehbarkeit der Unionssondierungen gegen das neue politische Bündnis in einem Bundesland kann vielleicht so begriffen werden: Die Liberalen um deren Spitzenkandidaten Ulrich Groll gelten in der Union als dünnblütig und, was die politische Ideenlage anbetrifft, als aktuell wie zukünftig insuffizient – ein hohler Körper, der gestrig zu riechen scheint. Außerdem ist kein grüner Landesverband wie jener in Baden-Württemberg so vernehmlich darauf aus, an der Seite der Union regierungsbeteiligt zu werden. Und zwar nicht, weil man – dies vielleicht auch, aber nicht erstrangig – auf Posten erpicht wäre, sondern weil man sich den Traditionskonservativen näher fühlt als einer Sozialdemokratie, die sich wie eine ächzende Stagnation ausnimmt und deshalb das Stigma der Irrelevanz nicht aus der Wolle kriegt.

Grüne wirken frischer

Am wichtigsten aber, Grüne wie Kretschmann oder der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon stehen für diese Tatsache auch habituell, ist, dass die Grünen sich von den Liberalen nur in einer Hinsicht unterscheiden: Die Ökos wirken moderner, frischer und ambitionierter – die FDP hingegen wie eine Truppe, die nur vom Trog nicht will.

Gemein haben beide ein libertäres Verhältnis zum Gesellschaftlichen wie ein staatsfernes Verständnis vom Sozialen. Wirtschaftspolitisch verkörpern beide eine starke Nähe zum Mittelständischen, die Grünen hingegen sind attraktiv für die neuen Ökonomien, die FDP für die alten – Ökohandwerker und -baustoffhändler sind mit den Grünen, metallverarbeitende Klitschen eher mit den Standortbewahrern der Liberalen.

Langfristig wichtiger scheint noch, worauf Kretschmann & KollegInnen ohnehin setzen müssen: Die grünen Lebensgefühle sind nicht aversiv gegen die Union kodiert – man hat eine Mission, und die kann nur mit der Union realisiert werden. Und die könnte so formuliert werden: Baden-Württemberg ökologischer wie libertärer gestalten. Und ein Bündnis mit der Union verhieße, diese Ambitionen der baden-württembergischen Partei schlechthin abzutrotzen.

Genau dies, die Infektion der Union mit grünen Visionen, fürchten die Ordokonservativen katholischer wie pietistisch-protestantischer Prägung so klarsichtig wie ablehnend. Die Grünen, das empfinden Unionspolitiker in den schwäbischen wie badischen Provinzen sehr deutlich, sind eben nicht allein anzugtragende, akkurat frisierte Politiker wie Salomon und Kretschmann. Sondern eine Partei, für die die klassische Familie nur ein Lebensmodell unter anderen ist und die Figur der muttihaften Mutter weniger beliebt ist als die der Mutter, die sich nicht allein über Nachwuchsfragen identifiziert. In den Grünen sind auch religiöse, zumeist christliche Strömungen aufgehoben – aber ihre säkularen, glaubensneutralen Anteile sind sehr viel wuchtiger in ihnen gebettet.

Die erste schwarz-grüne Koalition wird realisiert werden – aber wohl nicht in Baden-Württemberg. Vielleicht in Hamburg? Niedersachsen, in Nordrhein-Westfalen? Ein Projekt, das der Union die letzten deutschnationalen Schlacken aus dem Pelz wäscht? Die Grünen müssen dies wollen, die Union wird ohne die Grünen bald kaum noch können.

Oettinger traut sich nicht

Denn die FDP hat kaum gesellschaftliche Basen, Initiativen, Fundamente, Zirkel; die Grünen hingegen in Fülle, und stammen sie auch aus alten Bewegungs- und Bürgerinitiativzeiten. Das ist deren Chance. Und die der Union, dass mehr und mehr Kader nachwachsen und Posten erkämpfen. Ein jüngeres Personal, das die alten Feindbilder nicht mehr plausibel findet.

Die Union wird sich freuen, in den Grünen die modernere FDP zu haben. Wenn nicht in Stuttgart, dann anderswo. Und für alle Szenarien gilt: Bürgerkinder wissen sich stets zu vertragen.