Kettenreaktion mit Froschpantoffel

RASSISMUS Das Festival Black Lux im Ballhaus Naunynstraße zeigt zwei weitere Experimente zum politischen Tanz

„Scheiße, Victor, du hast ja nur einen Schritt drauf, du bist ein Schmalspurtänzer.“ Das sagte ein Kollege aus Guinea zum Gesellschaftswissenschaftler und Tänzer Victor D’Olive. Eine andere Kritik lautete, er würde „übergriffig argumentieren“ oder er hätte ein „ernsthaftes Fixierungsproblem“. D’Olive hat zudem einen ziemlich guten Humor. Also zeigt er erst einmal ein paar spiralige Moves mit ein- und ausgedrehten Kreuzstellungen und geflexten Gliedern, bevor er die gesammelte Kritik, die er dazu bekam, scheinbar betreten zum Besten gibt.

In den darstellenden Künsten kommen diese psychologisierenden Kritikkeulen öfter vor. Wenn sie aber, ohne zu treffen, frei durch den Raum zirkulieren, wirken sie wie ein Bumerang, der zum Absender zurückfliegt. D’Olive hat sich als stoische Antwort auf die Kritik an einen beschränkten Kanon von Bewegungen gehalten. Diese „Repitologia“ präsentiert er als zweiten Tanzbeitrag zum Festival Black Lux im Ballhaus Naunynstraße. Auch nachdem er das Publikum ermutigt hat, ihn an seinem Wiederholungszwang zu hindern, tanzt er weiter, mit Klebeband und Froschpantoffeln gefesselt.

Was das spielerisch-ironische Stück in den Kontext des „Heimatfests aus schwarzen Perspektiven“ stellt, wird erst beim Publikumsgespräch verständlich. Wagner Carvalho, künstlerischer Leiter des Hauses, erinnert an den institutionellen Rassismus in Brasilien, von dem auch die Tanzszene betroffen sei. Was vorher noch wie ganz „normaler“ Tänzeralltag wirkte, erscheint nun vor der Folie von Diskriminierungen.

Was bleibt, ist gute Laune

Es sei schwer, diese von Kritik zu trennen, sagt Victor D’Olive und spricht die Prägung an, mit der Rassismusopfer oft auf Unverständnis stoßen. Wer solche Erfahrungen nicht gemacht hat, argumentiert mit der Überempfindlichkeit des Gegenübers. Vertrauensverhältnisse zerbrechen daran oder können gar nicht erst entstehen. Solche psychologischen Kettenreaktionen sind ein komplexer Teufelskreis im Miteinander, für den es in rassistisch geprägten Gesellschaften, das heißt also in praktisch allen, nur wenig Bewusstsein gibt.

Vielleicht hätte Victor D’Olive diesen Hintergrund seines Stücks nicht ganz der Skurrilität opfern sollen. Denn nur einer der drei Abende bietet ein Publikumsgespräch und damit die ergänzende Reflexionsebene an. Im Zweifel bleibt gute Laune hängen. Was zumindest nicht verkehrt sein kann.

Bei Ricardo de Paulas Stück „Shoot First“ über den rassistischen Mord am amerikanischen Teenager Trayvon Martin reißt dagegen auch ein Publikumsgespräch nichts mehr heraus. Wie schon beim Eröffnungsstück des Festivals geht es um die plakative Wiedergabe intersektionaler Diskriminierungen. Der Jugendliche Trayvon war im Vorjahr auf dem Nachhauseweg wegen seines „verdächtigen“ Äußeren erschossen worden. Also gibt sich der Tänzer als „Hoody“ und spielt mit ein paar tänzerischen Stunts Trayvons Ermordung nach. Schüsse aus den Boxen. Als Requiem Gesang von Al Green.

Bisher leisteten sich Martin Luther King, Malcolm X und Frantz Fanon als Überväter des Widerstands in Kreidebuchstaben auf dem Tanzprospekt Gesellschaft. Nun wird „Amarildo 2013“ dazugeschrieben, ein Hinweis auf einen von der brasilianischen Polizei entführten schwarzen Arbeiter, ein weiterer Trayvon. Wer es noch nicht verstanden hat, für den stellt der Schriftzug auf dem T-Shirt des Tänzers klar: „No panic/I’m black“.

Die Betroffenheit von Ricardo de Paula ist mehr als verständlich. Dass er den Mord als künstlerisches Motiv plakativ instrumentalisiert und in den Stunts ästhetisiert, ist aber ein wenig überzeugender Ausdruck dafür.

ASTRID KAMINSKI