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Der Rahmen ist, was übrig bleibt

KUNST Matthias Helds Ausstellung „Maximum Self, Part 2“ zeigt Arbeiten, die sich mit Identitäten beschäftigen. Zugleich ermöglicht sie einen letzten Blick in ein altes Varietétheater, das vor 80 Jahren geschlossen wurde

Hier lässt sich ein archäologischer Blick auf ein Stück Stadtgeschichte werfen

VON TAL STERNGAST

Marcel Duchamp erklärte 1936, er würde keine Kunst mehr machen. Stattdessen begann er Replikas seiner Werke herzustellen. Als er seinen „Boîte-en-Valise“ präsentierte, einen Koffer, in dem Miniaturreproduktionen seiner Arbeiten ausgestellt werden konnten, nahm er vorweg, was sich bis heute über Autorschaft, mechanische Reproduktion und die Darbietung von Kunst sagen lässt.

Der Berliner Ausstellungsmacher Matthias Held, dessen Produktionen unter dem Label Heldart firmieren, stellte im April eine Schau zusammen, die von Duchamps Kiste inspiriert war. Für „Maximum Self, Part 1“ lud er das Künstlerduo Peng Yu und Suan Yuan ein, ihm einen Koffer zu schicken, in dem sich Arbeiten zeitgenössischer chinesischer Künstler befanden, die sich mit dem „Selbst“ beschäftigen. Koffer und Inhalt wurden in einem leer stehenden Büroraum gezeigt.

Am Mittwoch wurde der zweite Teil des Projekts vorgestellt. In einem spektakulären Gebäude in der Gartenstraße in Mitte, das gut achtzig Jahre den Blicken der Berliner entzogen war, sind Arbeiten von 18 Künstlern zu sehen. Das Haus wurde 1905 als Varietétheater erbaut und erfreute sich in den Zwanzigern großer Beliebtheit, bis es 1934 geschlossen wurde. Zu DDR-Zeiten wurde es unter anderem als Lagerraum genutzt. Es stand leer, als der Projektentwickler Dirk Moritz es entdeckte. Ein letztes Mal, bevor das Haus renoviert und als „Secret Garden“ vermarktet wird, lässt sich nun ein archäologischer Blick auf ein Stück Stadtgeschichte werfen.

„Identität“ ist eine Geschichte, die es zu erzählen gilt. Im Blick auf die wertvolle Immobilie mitten in einem begehrten Innenstadtbezirk stellt sich die Frage, wem seine Geschichte gehört. „Maximum Self, Part 2“ besetzt so einen Ort des Übergangs. Eben noch war er in einem ruinösen Zustand, bald wird seinen Wert immens gesteigert haben.

Im Hof begrüßt Michael Kunzes Grabstein aus schwarzem Marmor den Besucher. In goldenen Lettern hat der Künstler die Worte „Bin gleich zurück“ eingravieren lassen. Das lässt sich als komisches Vorwort zur Ausstellung lesen. Sie implantiert ihre Arbeiten mit deutlicher Distanz in die düsteren Räume, zum Teil befinden sie sich in Nischen, kleinen Nebenräumen und an dem Ort, wo einst die Bühne stand, der nun aber ein bisschen einem Altarraum ähnelt. Sie stehen auch im großen Saal, an dem noch Reste von Jugenstilreliefs zu sehen sind, die antike griechische Masken imitieren.

Saâdane Afifs Arbeiten beschäftigen sich immer wieder mit der angenommenen Synchronizität von Autorschaft und Identität, oft beauftragt er andere, bei seinen Werken mitzuarbeiten. Er hat zehn überdimensionierte Interpunktionszeichen wie Punkte oder Klammern aus UV-Neonröhren in den Räumen verteilt, die so die Erwartung formulieren, man könne die Arbeiten der Ausstellung wie Wörter in einem Satz lesen.

Bernhard Martins zwei Meter großes Gemälde „Wilde Gray (2013) hängt wie ein großer Spiegel im Eingang zum Theatersaal. In Anspielung an Oscar Wildes Erzählung von Dorian Gray, in der ein Mann Alter und Verfall an sein Porträt delegiert, zeigt Martins gelbliches Ölbild die manieristisch gezeichnete Figur eines Mannes mit einem Messer in der einen Hand, in der anderen hält er etwas, das aussieht wie ein Haarschopf. Der Mann trägt anstelle eines Kopfes einen Rahmen, in dem sich der Blick des Betrachters im Leeren verliert. Ihm Gegenüber hängt ein weiteres leeres Bild, dessen Glasoberfläche splittert. Identitäten verflüchtigen sich, wenn man sie in Augenschein nehmen will, nur der Rahmen der Erzählung hält sie zusammen.

Die vier Video- und Filmarbeiten der Ausstellung setzen sich in eine konkrete Beziehung zur Architektur. Philipp Lachmanns schwarzweißer 16-mm-Loop eines sich auflösenden Eisbergs wird in einen kleinen Raum hineinprojiziert, wobei der Lichtstrahl des Projektors durch einen Kristallaschenbecher gebrochen wird, der ihn in seine Farben zerlegt. Die simple Apparatur macht das Sehen bewusst, während der Betrachter zugleich Gefangener der Melancholie bleibt, die sie projiziert. Martin Arnolds Videoloop von Körperteilen von Cartoonfiguren, die in „Self Control“ (2011) autonom herumfliegen, wird in einen Kamin geworfen.

Alejandro Vidal wiederum zeigt Raver in einem Club, der Soundtrack einer akustischen Gitarre erfüllt den Raum. Die Nostalgie, die man an diesem Ort mit den Feiernden verbinden kann, ist so gleich doppelt gebrochen. Wenn man genau hinsieht, entdeckt man, dass ein Raver die Mitfeiernden mit einer Kamera aufnimmt.

■ Bis 21. September, täglich von 15 bis 19 Uhr, Gartenstraße 6

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