Vielfalt auf der Tartanbahn

INKLUSION Am Wochenende fand im Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg das Sportfest der Lebenshilfe statt. Kamen anfangs nur 100 Teilnehmer, sind es inzwischen 2.000

VON JENS UTHOFF

Auf der linken Außenbahn kämpft ein etwa 50-jähriger großer Mann mit Rollator um jeden Meter. Ein Kollege steht am Streckenrand und feuert ihn an. Ein schmaler Schlacks läuft derweil dem Feld davon. Auf der Nebenbahn wird ein Rollifahrer über die 50-Meter-Distanz geschoben. Und in der Mitte des Feldes tastet sich eine rundliche junge Frau tapfer Schritt für Schritt vor. Welche Heterogenität auf der Tartanbahn!

Vielfältig und bunt war nicht nur das Geschehen auf der Sprintstrecke, sondern auch das Gesamtbild beim Internationalen Sportfest der Lebenshilfe, das am Samstag bereits zum 33. Mal stattfand. An der Veranstaltung im Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion in Prenzlauer Berg, vom Senat mit 4.500 Euro gefördert, nahmen vornehmlich Menschen mit Behinderung teil.

Unter den 1.000 SportlerInnen und etwa 200 Begleitern waren dabei unter anderem Gruppen aus Polen und Tschechien, die die insgesamt zehn Disziplinen, darunter auch Basketballspielen und Tennis, absolvierten.

Sebastian Kramer hat nur gut sechs Sekunden für die 50 Meter gebraucht und war wohl einer der Tagesschnellsten. Er jubelt und lacht, als er die Ziellinie passiert. „Besser geht’s nicht“, sagt der 24-Jährige, „ich habe mir schon über 400 Meter ein Duell mit meinem besten Freund geliefert und gewonnen.“ Sebastian und sein unterlegener Kumpel Tobias sind zum zweiten Mal dabei, sie sind mit einer siebenköpfigen Gruppe hier – alle arbeiten zusammen in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Eisenhüttenstadt.

„Mit 100 Teilnehmern sind wir damals gestartet“, blickt Gerd Heinrichs, ehrenamtlicher Geschäftsführer des Lebenshilfe Sportclubs, zurück. „Die Anmeldezahlen nehmen immer noch zu.“ Er stellt den Festcharakter in den Vordergrund: „Es geht uns hier nicht um Leistungsvergleiche, auch wenn die Zeiten und Weiten natürlich gemessen werden.“

Zwar ist das Sportfest offen für alle, aber in Wirklichkeit sind die behinderten Sportler eher unter sich. „Die Inklusion beginnt erst langsam“, sagt Heinrichs, „wobei sich beide Seiten öffnen müssen, die regulären Vereine und die Behindertensportgruppen gleichermaßen.“ Im Reitsport habe man bereits damit angefangen, Sportler mit geistiger Behinderung in die Vereine einzugliedern.

„Wir wollen auf die Vereine zugehen“, sagt er, „das kann damit anfangen, dass Leute, die bei uns unterfordert sind, in den Sportvereinen der Nichtbehinderten aufgenommen werden. Die Offenheit uns gegenüber ist zu spüren.“ Das merke er etwa daran, dass man in diesem Jahr aufgefordert worden sei, am Sportfest vor dem ISTAF zu partizipieren. In Sachen Integration habe es Riesenfortschritte gegeben – Inklusion aber stehe vorerst als Worthülse im Raum. „Und ich bin froh, dass es in der Gesellschaft angekommen ist.“

Während der abschließenden Staffel sind die Anfeuerungsrufe im Stadion – etwa 2.000 Leute sind gekommen – am deutlichsten zu vernehmen. Die Teams aus den verschiedenen Städten kämpfen im 4 mal 100-Meter-Lauf über die Stadionrunde gegeneinander.

Magda, 26, eine stämmige junge Frau mit Lernbehinderung, strahlt übers ganze Gesicht, als die Staffel geschafft ist – sie ist zum zweiten Mal aus dem polnischen Police angereist und zeigt stolz auf ihr Trikot, auf dem der Städtename steht. Da einige Teilnehmer auch nicht so gut zu Fuß sind, sind die Abstände bei der Staffel enorm. Und auch Regelabweichungen sind möglich: Ein junger Mann in Blau läuft einfach die ganze Stadionrunde allein.

Die Veranstalter vom Lebenshilfe Sportclub bieten in Berlin Sportangebote für 600 Menschen. Menschen mit Mehrfachbehinderung, also meist im Rollstuhl sitzende Menschen mit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit, versucht man durch andere Angebote zu erreichen: „Da geht es dann darum, dass sie überhaupt mal andere Bewegungen machen, und weniger um die sportliche Herausforderung“, erklärt Heinrichs.